Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
wollend. Sie glauben immer das Schlimmste. Wissen Sie, es ist direkt modern geworden zu sagen, dass jemand trinkt oder Kokain schnupft. Neulich sagte mir jemand, dass junge Mädchen geborene Trinkerinnen sind, und ich finde, so etwas kann man wirklich nicht sagen. Und wenn jemand nur ein bisschen komisch oder zerstreut ist, sagt jedermann ›Kokain‹, und das ist auch unfair. Man sagt es zum Beispiel von Mrs Larkin, und obwohl ich die Frau nicht leiden kann, so glaube ich wirklich, dass es nur Gedankenlosigkeit ist. Sie ist übrigens eine gute Freundin von Ihrem Antony Hawker, und wenn Sie mich fragen, ist sie darum so gegen die Grant-Mädchen und sagt, dass sie die Männer verschlingen. Freilich muss ich selbst sagen, dass sie ein wenig hinter den Männern her sind, aber warum auch nicht? Es ist schließlich nur natürlich. Und sie sind alle vier bildhübsch.«
Poirot warf eine Frage dazwischen.
»Mrs Larkin? Mein Lieber, fragen Sie mich nicht, wer sie ist! Wer ist heutzutage jemand? Man sagt, dass sie gut reitet, und sie ist offenbar reich. Der Mann war irgendetwas in der City. Sie ist Witwe, nicht geschieden. Sie ist noch nicht lange hier. Sie kam gleich nach den Grants. Ich habe immer gedacht, dass sie – «
Die alte Dame hielt plötzlich inne. Ihr Mund blieb offen, ihre Augen traten hervor. Sie beugte sich vor und versetzte Poirot mit einem Papiermesser, das sie in der Hand hielt, einen festen Schlag über die Knöchel. Sein schmerzliches Zusammenzucken ignorierend, rief sie aufgeregt aus:
»Natürlich! Darum sind Sie hier! Sie abscheulicher Mensch, ich bestehe darauf, dass Sie mir alles darüber erzählen.«
»Aber worüber soll ich Ihnen erzählen?«
Lady Carmichael zielte wieder scherzhaft mit dem Papiermesser, aber Poirot wich dem Schlag geschickt aus.
»Seien Sie kein Fisch, Hercule Poirot! Ich sehe, wie Ihre Schnurrbartspitzen zittern. Natürlich sind Sie wegen eines Verbrechens hier – und horchen mich einfach schamlos aus! Warten Sie, kann es Mord sein? Wer ist jüngst gestorben? Nur die alte Louisa Gilmore, und sie war fünfundachtzig und hatte die Wassersucht. Sie kann es nicht sein. Der arme Leo Staverton hat sich bei der Fuchsjagd beide Beine gebrochen und ist ganz in Gips – das kann es auch nicht sein. Vielleicht ist es nicht Mord. Wie schade! Ich kann mich in letzter Zeit an keine besonderen Schmuckdiebstähle erinnern… Vielleicht sind Sie nur einem Verbrecher auf der Spur… Ist es Beryl Larkin? Hat sie ihren Mann vergiftet? Vielleicht macht die Reue sie so geistesabwesend.«
»Madame, Madame«, rief Hercule Poirot aus, »Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch!«
»Unsinn! Sie führen etwas im Schilde, Hercule Poirot.«
»Kennen Sie die alten Klassiker, Madame?«
»Was haben die Klassiker damit zu tun?«
»Folgendes: Ich eifere meinem hehren Vorbild, dem Helden Herkules, nach. Eine seiner Arbeiten war die Zähmung der wilden Stuten des Diomedes.«
»Sagen Sie mir nicht, dass Sie hergekommen sind, Pferde zu trainieren – in Ihrem Alter – und immer in Lackschuhen! Sie sehen mir nicht so aus, als wären Sie je in Ihrem Leben auf einem Pferd gesessen!«
»Die Pferde sind symbolisch, Madame. Es waren die wilden Stuten, die Menschenfleisch fraßen.«
»Wie abscheulich von ihnen. Ich finde immer diese alten Griechen und Römer so abscheulich. Ich verstehe nicht, warum die Pfarrer so gerne die Klassiker zitieren. Erstens versteht man nie, was sie meinen, und außerdem sind die ganzen Themen der Klassiker für Pfarrer höchst unpassend. So viel Inzest und all diese nackten Statuen – mir persönlich macht das nichts aus, aber Sie wissen doch, wie die Pfarrer sind – immer ganz außer sich, wenn die Mädchen ohne Strümpfe in die Kirche kommen – warten Sie, wo war ich nur?«
»Ich weiß es nicht mehr genau.«
»Sie Elender, Sie wollen mir nur nicht sagen, ob Mrs Larkin ihren Mann umgebracht hat. Oder vielleicht ist Antony Hawker der Eisenbahnmörder von Brighton?« Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber Hercule Poirot verzog keine Miene.
»Es könnte auch Fälschung sein«, überlegte Lady Carmichael, »ich habe Mrs Larkin neulich morgens in der Bank gesehen, und sie ließ sich gerade einen Scheck über fünfzig Pfund in bar auszahlen – es schien mir damals eine große Summe Bargeld auf einmal. Aber nein, es müsste ja umgekehrt sein – wäre sie eine Fälscherin, würde sie das Geld ja einzahlen, nicht wahr? Poirot, wenn Sie weiter stumm dasitzen und den Mund nicht aufmachen,
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