Die ersten Zeitreisen
„Ich
höre.“
„Also“, fing der Fremde an, „ich heiße Bazyli Kowalski.
Ich bin Botaniker und erforsche den Einfluß mittelfristiger
Klimaschwankungen auf die Mitosen des Kalyptrogens
verschiedener Nacktsamer im Zusammenhang mit
den Korrelationen zwischen Rhizosphäre und Geomagnetismus.“
„Ach so“, sagte Müsli.
„Nun ja“, fuhr Bazyli Kowalski fort, „da die Kalyptra
ein bisher . . .“
„Warum sagen Sie, Sie kämen aus Atlantis?“
„Aber das erkläre ich doch gerade . . . Ich muß meine Forschungen
in verschiedenen Zeitaltern betreiben, also
habe ich mir eine Zeitmaschine besorgt, leider nur eine
sehr kleine. Um die Instruktionen nicht zu verletzen“ —
Müsli horchte auf —, „sage ich, falls ich auf Einheimische
treffe, ich sei aus Atlantis. Das ist ja in der antiken Welt
als Wunderland bekannt, folglich setzte ich keinen Mythos
in Umlauf, sondern nutze nur einen aus, der ohnehin
schon existiert.“
„Nicht zu fassen!“ murmelte Professor Hieronymus.
„Oh, ich bin selbst nur durch Zufall daraufgekommen“,
bemerkte der Botaniker bescheiden. „Als ich die Jungs
von der Atlandei suchte . . .“
64. „Atlandei?“
Müsli sprang auf. „Sagten Sie
Atlandei
?“
„Warum nicht?“ fragte Bazyli verwundert, stand ebenfalls
auf und trat zwischen den Professor und die Meßgeräte.
„Ich sagte in der Tat ATLandEi. Archäologisch-temponautische
Landeeinheit.“
„Ja, ja, natürlich“, antwortete Müsli mechanisch und
sank zerschmettert wieder auf den Klappstuhl.
„Ich wußte also, daß die Archäologen damals auch dort
zu tun hatten, auf Helgoland nämlich; ich hatte es zufällig
in den ‚Chronophilen Blättern‘ gelesen und dann mit
den Archäologen verabredet, sie sollten mich bei meiner
Ankunft abholen. Wie ich nun so mit vorschriftsmäßig
eingeschaltetem Übersetzer aus der vorschriftsmäßig getarnten
Zeitmaschine steige, sehe ich auch wirklich zwei
Männer dort stehen und frage: ‚Wo sind denn die übrigen
von der Atlandei?‘ Wenn meine Brille nicht beschlagen
gewesen wäre, hätte ich natürlich gleich erkannt, daß
es keine Archäologen waren. Die beiden Einheimischen
erwiesen sich als schrecklich neugierig und wollten wissen,
wo denn die Atlandei liege und so weiter; irgendwas
mußte ich ihnen schließlich erzählen, nicht wahr?“
Müsli konnte nicht mehr widersprechen.
65. Der Botaniker
fuhr fort: „Damals war mir das sehr peinlich, aber später,
als ich die Archäologen gefunden hatte, begriffen wir,
welche Vorteile sich da boten. Sie glauben ja nicht, wie
diese Instruktionen mit ihrer Tarnung und den anderen
Vorschriften die wissenschaftliche Arbeit behindern.
Wenn man sagt, man kommt aus Atlantis, hat man es viel
einfacher. Man kann die moderne Technik benutzen und
in Ruhe seine Forschungen betreiben, ohne Angst haben
zu müssen, daß aus jedem verlorenen Schräubchen eine
Legende entsteht. Als sich die Helgoländer daran gewöhnt
hatten, daß wir aus einem fremden Wunderland
kamen, lief die Arbeit der Kollegen Archäologen viel reibungsloser.
Auf Helgoland hatte ich noch diesen blödenRaumbildprojektor in der Maschine; seit ich den ausgebaut
habe, weiß ich wenigstens, wo ich meine Meßapparatur
unterbringen kann. Außerdem ist der Kontakt mit
den Einheimischen viel leichter, was sage ich, er ist überhaupt
erst richtig möglich, denn die Instruktionen verbieten
ihn ja fast völlig. Die Temponauten von den historischen
Fakultäten können doch ohne solche Kontakte
überhaupt nicht auskommen, in Tartessos zum Beispiel
. . .“
„Ach, in Tartessos — das waren Sie also auch?“ erkundigte
sich Müsli gefaßt.
„In Tartessos — ich? Nein, was meinen Sie?“
„In Tartessos“, erklärte der Professor langsam, jede Silbe
sorgfältig artikulierend, „in Tartessos benutzen gewisse
‚Forscher‘ Ihr famoses System, um ungestört Orgien in
historischer Umgebung feiern zu können. Was sagen Sie
dazu
?“
„Damit habe ich nichts zu schaffen“, verwahrte sich Bazyli
Kowalski. „Ich bin nie in Tartessos gewesen, und ich
glaube auch nicht, daß die Jungs von der Atlandei so was
machen; das sind ernsthafte Wissenschaftler.“ (Müsli
lachte sarkastisch auf, doch der Botaniker nahm es nicht
wahr.) „Aber natürlich sprechen sich solche aussichtsreichen
Methoden unter den Kollegen schnell herum. Neulich
hat mir jemand geschrieben, er plane eine Expedition
nach Tartessos und habe von meinem System
gehört. Selbstverständlich habe ich seinen Wunsch
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