Die Erwaehlten
sie sich hier heimischer als je zuvor. Einfach zu Hause.
Trotzdem seufzte Jessica, als sie den Flur entlang auf ihr Zimmer zulief. Melissas Worte begleiteten sie immer noch. Der Darkling war ihr nicht wie ein wildes Tier vorgekommen – eher wie etwas, das sie aus tiefstem Herzen hasste. Der Gleiter hatte sie in eine Falle gelockt, weil er ihren Tod gewollt hatte.
„Vielleicht hat Melissa recht.“
Die blaue Zeit kam ihr nicht wie ein Ort vor, an den sie gehörte. Das fremde Licht pulsierte aus allen Ecken des Hauses, gespenstisch und falsch. Ihre Augen taten nach einer Stunde davon weh, als ob sie Weinen müsste.
„Vielleicht gehöre ich nicht hierher.“
Jessica blieb vor Beths Tür stehen. Ihr weißer Körper lag immer noch da, unbeweglich, in seiner beängstigenden Pose auf dem Bett ausgebreitet.
Sie trat ein und setzte sich neben ihre Schwester, zwang sich, hinzusehen, bis zum Ende der Mitternacht zu warten. Sie musste wissen, dass Beth nicht tot war. Wenn Rex ihr die Wahrheit gesagt hatte, steckte sie nur für einen Moment in der Zeit fest.
Jessica zog ihrer Schwester das Laken bis zum Hals hoch und berührte ihre reglose Wange, mit einem Frösteln, als ihre Finger auf der kühlen Oberfläche aufkamen.
Der Moment ging zu Ende.
Die Kartons und Ecken verblassten wieder in der Finsternis, nachdem sie ihr eigenes Licht nicht mehr beleuchtete. Mattes Licht von Straßenlaternen flutete durch die Fenster, hinterließ kantige Schatten auf dem Durcheinander am Boden. Die Welt fühlte sich wieder richtig an.
Beths Wange wurde wärmer, und unter Jessicas Hand zuckte ein Muskel.
Sie öffnete träge die Augen.
„Jessica? Was machst du hier drin?“
Jessica zog ihre Hand weg, als ihr einfiel, dass eine wache Beth genauso beängstigend sein konnte wie eine erstarrte.
„Hallo, äh, ich wollte was sagen.“
„Was? Ich schlafe ,Jessica.“
„Ich musste dir einfach sagen, dass es mir leidtut, dass ich dir aus dem Weg gegangen bin. Ich meine, ich weiß, hier geht es heftig zur Sache“, sagte Jessica. „Aber … ich bin auf deiner Seite, okay?“
„Mensch, Jessica “,sagte Beth, wandte sich um und verwurstelte sich noch mehr mit ihren Laken. Dann drehte sie den Kopf und starrte sie vorwurfsvoll an. „Hat Mom dir das aufgetragen? Das ist so peinlich.“
„Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur …“
„Miss Erwachsen spielen. Beweisen, dass du Zeit für mich hast, auch wenn du hier Miss Beliebt bist. Was auch immer. Danke für die schmissige Rede, Jess. Gibt’s jetzt vielleicht ein bisschen Schlaf?“
Jessica wollte antworten, ließ es aber bleiben und musste ein Grinsen unterdrücken. Beth war wieder die Alte. Sie war ohne ersichtlichen Schaden aus der blauen Zeit wieder aufgetaut.
„Schlaf schön“, sagte Jessica auf dem Weg zur Tür.
„Klar, keine Bettkäfer und so.“ Beth rollte mürrisch auf die andere Seite und zog sich die Decke über den Kopf.
Jessica schloss die Tür. Als sie ganz allein im Flur stand, dröhnten die letzten Worte ihrer Schwester in ihrem Kopf. „Lass dich nicht von den Bettkäfern beißen“ ,flüsterte sie.
Sie ging weiter bis in ihr eigenes Zimmer und drückte die Tür fest zu, weil es ihr plötzlich so vorkam, als ob die blaue Zeit nicht wirklich vorbei wäre. Das Licht war wieder normal, außerdem hörte sie den beständigen Wind von Oklahoma wieder, aber alles andere sah für sie jetzt anders aus. Die Welt, die Jessica gekannt hatte – die Welt aus Nacht und Tag, aus Sicherheit und Vernunft –, war vollständig ausgelöscht.
In vierundzwanzig Stunden würde die blaue Zeit wiederkehren. Wenn Rex die Wahrheit gesagt hatte, würde sie jede Nacht wiederkehren.
Jessica Day legte sich auf ihr Bett und zog die Decke hoch bis über ihre Nase. Sie versuchte zu schlafen, aber wenn sie die Augen schloss, kam es Jess so vor, als ob noch jemand im Zimmer wäre. Sie setzte sich auf und spähte in alle Ecken, um wieder und wieder sicherzugehen, dass dort keine unbekannten Gestalten lauerten.
Sie fühlte sich wieder so wie damals, als sie noch klein war, als Nacht eine gefährliche Zeit war, in der Sachen unter dem Bett lebten, Sachen, die sie fressen wollten.
Es gab Schlimmeres als Bettkäfer, und es konnte beißen.
zeichen
9.28 Uhr morgens
11
Beth war am nächsten Morgen beim Frühstück gut in Form.
„Mom, Jessica ist gestern Nacht geschlafpirscht.“
„Geschlafwandelt?“, fragte Mom zurück.
„Nein, geschlaf pirscht . Sie ist um mein Bett
Weitere Kostenlose Bücher