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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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habt.
    Der Seiler
    triumphierte über diesen unerwarteten Erfolg nicht wenig. Aber abends ging
    es umgekehrt. Heller bekam keine Suppe, und die zwei Schlaumeier merkten,
    daß sie überlistet waren. Von da an hatte die Angeberei ein Ende.
    Untereinander aber ließen sie sich keine Ruhe. Nur selten einmal, wenn
    sie nebeneinander am Rain droben kauerten und den Vorübergehenden ihre
    faltigen Hälse nachstreckten, spann sich vielleicht für eine Stunde eine flüchtige Seelengemeinschaft zwischen ihnen an, indem sie miteinander über den Lauf
    der Welt, über den Stricker, über die Armenpflege und über den dünnen Kaffee im Spittel räsonierten oder ihre kleinen idealen Güter austauschten, welche bei dem Seiler in einer bündigen Psychologie über Weiber, bei Hürlin hingegen
    aus Wandererinnerungen und phantastischen Plänen zu Finanzspekulationen
    großen Stils bestanden.
    Siehst du, wenn halt einer heiratet – ,fing es bei Heller allemal an. Und
    Hürlin, wenn an ihm die Reihe war, begann stets:
    Tausend Mark wenn mir
    einer lehnte –
    oder:
    Wie ich dazumal in Solingen drunten war . . .
    Drei
    Monate hatte er vor Jahren einmal dort gearbeitet, aber es war erstaunlich,
    was ihm alles gerade in Solingen passiert und zu Gesicht gekommen war.
    Wenn sie sich müdgesprochen hatten, nagten sie schweigend an ihren mei-
    stens kalten Pfeifen, legten die Arme auf die spitzen Knie, spuckten in ungleichen Zwischenräumen auf die Straße und stierten an den krummen alten Ap-
    felbaumstämmen vorüber in die Stadt hinunter, deren Auswürflinge sie waren
    und der sie Schuld an ihrem Unglück gaben. Da wurden sie wehmütig, seufz-
    ten, machten mutlose Handbewegungen und fühlten, daß sie alt und erloschen
    seien. Dieses dauerte stets so lange, bis die Wehmut wieder in Bosheit um-
    schlug, wozu meistens eine halbe Stunde hinreichte. Dann war es gewöhnlich
    Lukas Heller, der den Reigen eröffnete, zuerst mit irgendeiner Neckerei.
    Sieh einmal da drunten!
    rief er und deutete talwärts.
    Was denn?
    brummte der andere.
    204
    Mußt auch noch fragen! Ich weiß, was ich sehe.
    Also was, zum Dreihenker?
    Ich sehe die sogenannte Walzenfabrik von weiland Hürlin und Schwindel-
    meier, jetzt Dalles und Kompanie. Reiche Leute das, reiche Leute!
    Kannst mich im >Adler< treffen!
    murmelte Hürlin.
    So? Danke schön.
    Willst mich falsch machen?
    Tut gar nicht not, bist’s schon.
    Dreckiger Seilersknorze, du!
    Zuchthäusler!
    Schnapslump!
    Selber einer! Du hast’s grad nötig, daß du ordentliche Leute schimpfst.
    Ich schlag dir sieben Zähne ein.
    Und ich hau dich lahm, du Bankröttler, du naseweiser!
    Damit war das Gefecht eröffnet. Nach Erschöpfung der ortsüblichen Schimpf-
    namen und Schandwörter erging sich die Phantasie der beiden Hanswürste in
    üppigen Neubildungen von verwegenem Klange, bis auch dies Kapital aufge-
    braucht war und die zwei Kampfhähne erschöpft und erbittert hintereinander
    her ins Haus zurückzottelten.
    Jeder hatte keinen anderen Wunsch, als den Kameraden möglichst unterzu-
    kriegen und sich ihm überlegen zu fühlen, aber wenn Hürlin der Gescheitere
    war, so war Heller der Schlauere, und da der Stricker keine Partei nahm, wollte keinem ein rechter Trumpf gelingen. Die geachtetere und angenehmere Stellung im Spittel einzunehmen, war beider sehnliches Verlangen; sie verwandten darauf so viel Nachdenken und Zähigkeit, daß mit der Hälfte davon ein jeder, wenn er sie seinerzeit nicht gespart hätte, sein Schifflein hätte flott erhalten können, anstatt ein Sonnenbruder zu werden.
    Unterdessen war die große Holzladung im Hof langsam kleiner geworden.
    Den Rest hatte man für später liegen lassen und einstweilen andere Geschäfte vorgenommen. Heller arbeitete tagweise in des Stadtschultheißen Garten, und
    Hürlin war unter hausväterlicher Aufsicht mit friedlichen Tätigkeiten, wie Sa-latputzen, Linsenlesen, Bohnenschnitzeln und dergleichen, beschäftigt, wobei er sich nicht zu übernehmen brauchte und doch etwas nütze sein konnte.
    Darüber schien die Feindschaft der Spittelbrüder langsam heilen zu wollen,
    da sie nicht mehr den ganzen Tag beisammen waren. Auch bildete jeder sich
    ein, man habe ihm gerade diese Arbeit seiner besonderen Vorzüge wegen zu-
    geteilt und ihm damit über den andern einen Vorrang zugestanden. So zog
    sich der Sommer hin, bis schon das Laub braun anzulaufen begann.
    Da begegnete es dem Fabrikanten, als er eines Nachmittags allein im Tor-
    gang saß und sich schläfrig

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