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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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abgewa-
    schen war, zog er Spielkarten heraus und schlug eine Partie vor. Der Stricker wollte es verbieten, gab es aber am Ende unter der Bedingung zu, daß
    um
    nichts
    gespielt werde. Finkenbein lachte laut.
    Natürlich um nichts, Herr Sauberle. Um was denn sonst? Ich bin ja freilich
    von Haus aus Millionär, aber das ist alles in Hürlinschen Aktien draufgegangen
    – nichts für ungut, Herr Fabrikant!
    Sie begannen denn, und das Spiel ging auch eine Weile ganz fröhlich seinen
    Gang, durch zahlreiche Kartenwitze des Finkenbein und durch einen von dem-
    selben Finkenbein entdeckten und vereitelten Mogelversuch des Seilermeisters anregend unterbrochen. Aber da stach den Seiler der Hafer, daß er mit geheimnisvollen Andeutungen immer wieder des Abenteuers im
    Sternen
    gedenken
    mußte. Hürlin überhörte es zuerst, dann winkte er ärgerlich ab. Da lachte der Seiler auf eine schadenfrohe Art dem Finkenbein zu. Hürlin blickte auf, sah das unangenehme Lachen und Blinzeln, und plötzlich wurde ihm klar, daß dieser
    an der Hinauswerferei schuld war und sich auf seine Kosten lustig mache. Das ging ihm durch und durch. Er verzog den Mund, warf mitten im Spiel seine
    Karten auf den Tisch und war nicht zum Weiterspielen zu bewegen. Heller
    merkte sofort, was los war, er hielt sich vorsichtig still und gab sich doppelt Mühe, auf einem recht brüderlichen Fuß mit Finkenbein zu bleiben.
    Es war also zwischen den beiden alten Gegnern wieder alles verschüttet,
    und desto schlimmer, weil Hürlin überzeugt war, Finkenbein habe um den
    Streich gewußt und ihn anstiften helfen. Dieser benahm sich unverändert lustig und kameradschaftlich, da aber Hürlin ihn nun einmal beargwöhnte und seine
    Späße und Titulaturen wie Kommerzienrat, Herr von Hürlin und so weiter
    ruppig aufnahm, zerfiel in Bälde die Sonnenbrüderschaft in zwei Parteien.
    Denn der Fabrikant hatte sich als Schlafkamerad schnell an den blöden Holdria 212
    gewöhnt und ihn zu seinem Freund gemacht.
    Von Zeit zu Zeit brachte Finkenbein, der aus irgendwelchen verborgenen
    Quellen her immer wieder ein bißchen kleines Geld im Sack hatte, wieder
    einen gemeinsamen Kneipengang in Vorschlag. Aber Hürlin, so gewaltig die
    Verlockung für ihn war, hielt sich stramm und ging niemals mehr mit, obwohl
    es ihn empörte zu denken, daß Heller desto besser dabei wegkomme. Statt
    dessen hockte er beim Holdria, der ihm mit verklärtem Lächeln oder mit
    ängstlich großen Augen zuhörte, wenn er klagte und schimpfte oder darüber
    phantasierte, was er tun würde, wenn ihm jemand tausend Mark liehe.
    Lukas Heller dagegen hielt es klüglich mit dem Finkenbein. Freilich hatte er gleich im Anfang die neue Freundschaft in Gefahr gebracht. Er war des Nachts einmal nach seiner Gewohnheit über den Kleidern seines Schlafkameraden
    gewesen und hatte dreißig Pfennige darin gefunden und an sich gebracht.
    Der Beraubte aber, der nicht schlief, sah ruhig durch halbgeschlossene Lider zu. Am Morgen gratulierte er dem Seiler zu seiner Fingerfertigkeit, forderte ihm das Geld wieder ab und tat, als wäre es nur ein guter Scherz gewesen.
    Damit hatte er vollends Macht über Heller gewonnen, und wenn dieser an ihm
    einen guten Kameraden hatte, konnte er ihm doch nicht so unverwehrt seine
    Klagelieder vorsingen wie Hürlin dem seinigen. Namentlich seine Reden über
    die Weiber wurden dem Finkenbein bald langweilig.
    ’S ist gut, sag ich, Seilersmann, ’s ist gut. Du bist auch so eine Drehorgel mit einer ewigen Leier, hast keine Reservewalze. Was die Weiber angeht, hast du meinetwegen recht. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Mußt dir eine Reservewalze anschaffen – mal was anderes, weißt du, sonst kannst du mir gestohlen
    werden.
    Vor solchen Erklärungen war der Fabrikant sicher. Und das war zwar be-
    quem, aber es tat ihm nicht gut. Je geduldiger sein Zuhörer war, desto tiefer wühlte er in seinem Elend. Noch ein paarmal steckte ihn die souveräne Lustigkeit des Taugenichts Finkenbein für eine halbe Stunde an, daß er nochmals
    die großartigen Handbewegungen und Kennworte seiner goldenen Zeit her-
    vorlangte und übte, aber seine Hände waren doch allmählich ziemlich steif
    geworden, und es kam ihm nimmer von innen heraus. In den letzten sonnigen
    Herbsttagen saß er zuweilen noch unter den welkenden Apfelbäumen, aber er
    schaute auf Stadt und Tal nicht mehr mit Neid oder mit Verlangen, sondern
    fremd, wie wenn all dieses ihn nichts mehr anginge oder ihm fernläge. Es ging ihn auch

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