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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hätte entbehren müssen.
    Die alle saßen da in der Ecke des dunkeln Hofes, erzählten einander ihre
    Begebenheiten und warteten darauf, was der Abend nun Gutes und Fröhliches
    bringen würde. Ihre Reden und Gebärden wollten dem gelehrten Jüngling
    anfänglich nicht die klügsten und nicht die feinsten scheinen, aber bald wurde ihm, da seine Verlegenheit wich, freier und wohler, und er blickte nun auf
    die im Dunkel beisammenkauernden Mädchen wie auf ein ungewöhnliches,
    sonderbar schönes Bild.
    Ja, das wäre also der Herr Lateinschüler , sagte die Babett und wollte
    sogleich die Geschichte seines kläglichen Hungerleidens vortragen, doch da
    zog er sie flehend am Ärmel, und sie schonte ihn gutmütig.
    Da müssen Sie sicher schrecklich viel lernen?
    fragte die rotblonde Marg-
    ret aus der Binderei, und sie fuhr sogleich fort:
    Auf was wollen Sie denn
    studieren?
    Ja, das ist noch nicht ganz bestimmt. Vielleicht Doktor.
    Das erweckte
    Ehrfurcht, und alle sahen ihn aufmerksam an.
    Da müssen Sie aber doch zuerst noch einen Schnurrbart kriegen , meinte
    die Lene vom Apotheker, und nun lachten sie teils leise kichernd, teils kreischend auf und kamen mit hundert Neckereien, deren er sich ohne Babetts
    Hilfe schwerlich erwehrt hätte. Schließlich verlangten sie, er solle ihnen eine Geschichte erzählen. Ihm wollte, soviel er auch gelesen hatte, keine einfallen als das Märchen von dem, der auszog, das Gruseln zu lernen; doch hatte
    er kaum recht angefangen, da lachten sie und riefen:
    Das wissen wir schon
    lang , und die Gret vom Bischofseck sagte geringschätzig:
    Das ist bloß für
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    Kinder.
    Da hörte er auf und schämte sich, und die Babett versprach an seiner
    Stelle:
    Nächstes Mal erzählt er was andres, er hat ja soviel Bücher daheim!
    Das war ihm auch recht, und er beschloß, sie glänzend zufriedenzustellen.
    Unterdessen hatte der Himmel den letzten blauen Schimmer verloren, und
    auf der matten Schwärze schwamm ein Stern.
    Jetzt müßt ihr aber heim , ermahnte die Babett, und sie standen auf,
    schüttelten und rückten die Zöpfe und Schürzen zurecht, nickten einander zu
    und gingen davon, die einen durchs hintere Hoftürlein, die andern durch den
    Gang und die Haustüre.
    Auch Karl Bauer sagte gute Nacht und stieg in seine Kammer hinauf, befrie-
    digt und auch nicht, mit unklarem Gefühl. Denn so tief er in Jugendhochmut
    und Lateinschülertorheiten steckte, so hatte er doch gemerkt, daß unter diesen seinen neuen Bekannten ein andres Leben gelebt ward als das seinige und daß
    fast alle diese Mädchen, mit fester Kette ans rührige Alltagsleben gebunden, Kräfte in sich trugen und Dinge wußten, die für ihn so fremd wie ein Märchen waren. Nicht ohne einen kleinen Forscherdünkel gedachte er möglichst tief in die interessante Poesie dieses naiven Lebens, in die Welt des Urvolkstümlichen, der Moritaten und Soldatenlieder hineinzublicken. Aber doch fühlte er diese
    Welt der seinigen in gewissen Dingen unheimlich überlegen und fürchtete al-
    lerlei Tyrannei und Überwältigung von ihr.
    Einstweilen ließ sich jedoch keine derartige Gefahr blicken, auch wurden die abendlichen Zusammenkünfte der Mägde immer kürzer, denn es ging schon
    stark in den Winter hinein, und man machte sich, wenn es auch noch mild war, jeden Tag auf den ersten Schnee gefaßt. Immerhin fand Karl noch Gelegenheit, seine Geschichte loszuwerden. Es war die vom Zundelheiner und Zundelfrieder, die er im Schatzkästlein gelesen hatte, und sie fand keinen geringen Beifall. Die Moral am Schlusse ließ er weg, aber die Babett fügte eine solche aus eignem
    Bedürfnis und Vermögen hinzu. Die Mädchen, mit Ausnahme der Gret, lobten
    den Erzähler über Verdienst, wiederholten abwechselnd die Hauptszenen und
    baten sehr, er möge nächstens wieder so etwas zum besten geben. Er versprach es auch, aber schon am andern Tag wurde es so kalt, daß an kein Herumstehen
    im Freien mehr zu denken war, und dann kamen, je näher die Weihnacht
    rückte, andre Gedanken und Freuden über ihn.
    Er schnitzelte alle Abend an einem Tabakskasten für seinen Papa und dann
    an einem lateinischen Vers dazu. Der Vers wollte jedoch niemals jenen klas-
    sischen Adel bekommen, ohne welchen ein lateinisches Distichon gar nicht
    auf seinen Füßen stehen kann, und so schrieb er schließlich nur
    Wohl be-
    komm’s!
    in großen Schnörkelbuchstaben auf den Deckel, zog die Linien mit
    dem Schnitzmesser nach und polierte den Kasten mit Bimsstein und

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