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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ja.
    Herr du meines Lebens, wie kommst du denn dazu?
    Es ist halt dagestanden, Babett, und da hab ich gedacht –
    Was denn hast gedacht?
    Weil ich halt so elend Hunger gehabt hab . . .
    Bei diesen Worten riß das alte Mädchen ihre Augen weit auf und starrte
    den Armen mit unendlichem Verständnis, Erstaunen und Erbarmen an.
    Hunger hast? Ja, kriegst denn nichts zu futtern da droben?
    Wenig, Babett, wenig.
    Jetzt da soll doch! Nun, ’s ist gut, ’s ist gut. Behalt das nur, was du im
    Sack hast, und den Käs auch, behalt’s nur, ’s ist noch mehr im Haus. Aber
    jetzt tät ich raufgehen, sonst kommt noch jemand.
    In merkwürdiger Stimmung kehrte Karl in seine Kammer zurück, setzte sich
    hin und verzehrte nachdenklich erst den Holländer und dann die Birnen. Dann
    wurde ihm freier ums Herz, er atmete auf, reckte sich und stimmte alsdann
    auf der Geige eine Art Dankpsalm an. Kaum war dieser beendet, so klopfte
    es leise an, und wie er aufmachte, stand vor der Tür die Babett und streckte ihm ein gewaltiges, ohne Sparsamkeit bestrichenes Butterbrot entgegen.
    So sehr ihn dieses erfreute, wollte er doch höflich ablehnen, aber sie litt es nicht, und er gab gerne nach.
    Geigen tust du aber mächtig schön , sagte sie bewundernd,
    ich hab’s
    schon öfter gehört. Und wegen dem Essen, da will ich schon sorgen. Am Abend
    kann ich dir gut immer was bringen, es braucht’s niemand zu wissen. Warum
    gibt sie dir’s auch nicht besser, wo doch wahrhaftig dein Vater genug Kostgeld zahlen muß.
    Noch einmal versuchte der Bursche schüchtern dankend abzulehnen, aber
    sie hörte gar nicht darauf, und er fügte sich gerne. Am Ende kamen sie dahin 251
    überein, daß Karl an Tagen der Hungersnot beim Heimkommen auf der Stiege
    das Lied
    Güldne Abendsonne
    pfeifen sollte, dann käme sie und brächte ihm
    zu essen. Wenn er etwas andres pfiffe oder gar nichts, so wäre es nicht nötig.
    Zerknirscht und dankbar legte er seine Hand in ihre breite Rechte, die mit
    starkem Druck das Bündnis besiegelte.
    Und von dieser Stunde an genoß der Gymnasiast mit Behagen und Rührung
    die Teilnahme und Fürsorge eines guten Frauengemütes, zum erstenmal seit
    den heimatlichen Knabenjahren, denn er war schon früh in Pension getan
    worden, da seine Eltern auf dem Lande wohnten. An jene Heimatjahre ward
    er auch oft erinnert, denn die Babett bewachte und verwöhnte ihn ganz wie
    eine Mutter, was sie ihren Jahren nach auch annähernd hätte sein können. Sie war gegen vierzig und im Grunde eine eiserne, unbeugsame, energische Natur;
    aber Gelegenheit macht Diebe, und da sie so unerwartet an dem Jüngling einen dankbaren Freund und Schützling und Futtervogel gefunden hatte, trat mehr
    und mehr aus dem bisher schlummernden Grunde ihres gehärteten Gemütes
    ein fast zaghafter Hang zur Weichheit und selbstlosen Milde an den Tag.
    Diese Regung kam dem Karl Bauer zugute und verwöhnte ihn schnell, wie
    denn so junge Knaben alles Dargebotene, sei es auch die seltenste Frucht, mit Bereitwilligkeit und fast wie ein gutes Recht hinnehmen. So kam es auch, daß er schon nach wenigen Tagen jene so beschämende erste Begegnung bei der
    Kellertüre völlig vergessen hatte und jeden Abend sein
    Güldne Abendson-
    ne
    auf der Treppe erschallen ließ, als wäre es nie anders gewesen.
    Trotz aller Dankbarkeit wäre vielleicht Karls Erinnerung an die Babett nicht so unverwüstlich lebendig geblieben, wenn ihre Wohltaten sich dauernd auf
    das Eßbare beschränkt hätten. Jugend ist hungrig, aber sie ist nicht weni-
    ger schwärmerisch, und ein Verhältnis zu Jünglingen läßt sich mit Käse und
    Schinken, ja selbst mit Kellerobst und Wein nicht auf die Dauer warmkalten.
    Die Babett war nicht nur im Hause Kusterer hochgeachtet und unent-
    behrlich, sondern genoß in der ganzen Nachbarschaft den Ruf einer tadel-
    freien Ehrbarkeit. Wo sie dabei war, ging es auf eine anständige Weise heiter zu. Das wußten die Nachbarinnen, und sie sahen es daher gern, wenn ihre
    Dienstmägde, namentlich die jungen, mit ihr Umgang hatten. Wen sie emp-
    fahl, der fand gute Aufnahme, und wer ihren vertrauteren Verkehr genoß, der
    war besser aufgehoben als im Mägdestift oder Jungfrauenverein.
    Feierabends und an den Sonntagnachmittagen war also die Babett selten
    allein, sondern stets von einem Kranz jüngerer Mägde umgeben, denen sie
    die Zeit herumbringen half und mit allerlei Rat zur Hand ging. Dabei wurden
    Spiele gespielt, Lieder gesungen, Scherzfragen und Rätsel aufgegeben,

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