Die Erzaehlungen 1900-1906
und wer etwa einen Bräutigam oder einen Bruder besaß, durfte ihn gern mitbringen.
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Freilich geschah das nur sehr selten, denn die Bräute wurden dem Kreise
meistens bald untreu, und die jungen Gesellen und Knechte hatten es mit der
Babett nicht so freundschaftlich wie die Mädchen. Lockere Liebesgeschichten
duldete sie nicht; wenn von ihren Schützlingen eine auf solche Wege geriet und durch ernstes Vermahnen nicht zu bessern war, so blieb sie ausgeschlossen.
In diese muntere Jungferngesellschaft ward der Lateinschüler als Gast auf-
genommen, und vielleicht hat er dort mehr gelernt als im Gymnasium. Den
Abend seines Eintritts hat er nicht vergessen. Es war im Hinterhof, die Mäd-
chen saßen auf Treppenstaffeln und leeren Kisten, es war dunkel, und oben floß der viereckig abgeschnittene Abendhimmel noch in schwachem mildblauem
Licht. Die Babett saß vor der halbrunden Kellereinfahrt auf einem Fäßchen,
und Karl stand schüchtern neben ihr an den Torbalken gelehnt, sagte nichts
und schaute in der Dämmerung die Gesichter der Mädchen an. Zugleich dachte
er ein wenig ängstlich daran, was wohl seine Kameraden zu diesem abendlichen Verkehr sagen würden, wenn sie davon erführen.
Ach, diese Mädchengesichter! Fast alle kannte er vom Sehen schon, aber nun
waren sie, so im Halblicht zusammengerückt, ganz verändert und sahen ihn
wie lauter Rätsel an. Er weiß auch heute noch alle Namen und alle Gesichter
und von vielen die Geschichte dazu. Was für Geschichten! Wieviel Schicksal,
Ernst, Wucht und auch Anmut in den paar kleinen Mägdeleben!
Es war die Anna vom Grünen Baum da, die hatte als ganz junges Ding in
ihrem ersten Dienst einmal gestohlen und war einen Monat gesessen. Nun war
sie seit Jahren treu und ehrlich und galt für ein Kleinod. Sie hatte große braune Augen und einen herben Mund, saß schweigsam da und sah den Jüngling
mit kühler Neugierde an. Aber ihr Schatz, der ihr damals bei der Polizei-
geschichte untreu geworden war, hatte inzwischen geheiratet und war schon
wieder Witwer geworden. Erlief ihr jetzt wieder nach und wollte sie durchaus noch haben, aber sie machte sich hart und tat, als wollte sie nichts mehr von ihm wissen, obwohl sie ihn heimlich noch so lieb hatte wie je.
Die Margret aus der Binderei war immer fröhlich, sang und klang und hatte
Sonne in den rotblonden Kraushaaren. Sie war beständig sauber gekleidet und
hatte immer etwas Schönes und Heiteres an sich, ein blaues Band oder ein paar Blumen, und doch gab sie niemals Geld aus, sondern schickte jeden Pfennig
ihrem Stiefvater heim, der’s versoff und ihr nicht danke sagte. Sie hat dann später ein schweres Leben gehabt, ungeschickt geheiratet und sonst vielerlei Pech und Not, aber auch dann ging sie noch leicht und hübsch einher, hielt
sich rein und schmuck und lächelte zwar seltener, aber desto schöner.
Und so fast alle, eine um die andre, wie wenig Freude und Geld und Freund-
liches haben sie gehabt und wieviel Arbeit, Sorge und Ärger, und wie haben
sie sich durchgebracht und sind obenan geblieben, mit wenig Ausnahmen lau-
ter wackere und unverwüstliche Kämpferinnen! Und wie haben sie in den paar
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freien Stunden gelacht und sich fröhlich gemacht mit nichts, mit einem Witz
und einem Lied, mit einer Handvoll Walnüsse und einem roten Bandrestchen!
Wie haben sie vor Lust gezittert, wenn eine recht grausame Martergeschich-
te erzählt wurde, und wie haben sie bei traurigen Liedern mitgesungen und
geseufzt und große Tränen in den guten Augen gehabt!
Ein paar von ihnen waren ja auch widerwärtig, krittelig und stets zum
Nörgeln und Klatschen bereit, aber die Babett fuhr ihnen, wenn es not tat,
schon übers Maul. Und auch sie trugen ja ihre Last und hatten es nicht leicht.
Die Gret vom Bischofseck namentlich war eine Unglückliche. Sie trug schwer
am Leben und schwer an ihrer großen Tugend, sogar im Jungfrauenverein war
es ihr nicht fromm und streng genug, und bei jedem kräftigen Wort, das an
sie kam, seufzte sie tief in sich hinein, biß die Lippen zusammen und sagte
leise:
Der Gerechte muß viel leiden.
Sie litt jahraus, jahrein und gedieh am
Ende doch dabei, aber wenn sie ihren Strumpf voll ersparter Taler überzählte, wurde sie gerührt und fing zu weinen an. Zweimal konnte sie einen Meister
heiraten, aber sie tat es beidemal nicht, denn der eine war ein Leichtfuß, und der andere war selber so gerecht und edel, daß sie bei ihm das Seufzen und
Unverstandensein
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