Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Wachs.
    Alsdann reiste er wohlgemut in die Ferien.
    255
    Der Januar war kalt und klar, und Karl ging, so oft er eine freie Stunde
    hatte, auf den Eisplatz zum Schlittschuhlaufen. Dabei ging ihm eines Tages
    sein bißchen eingebildete Liebe zu jenem schönen Bürgermädchen verloren.
    Seine Kameraden umwarben sie mit hundert kleinen Kavalierdiensten, und
    er konnte wohl sehen, daß sie einen wie den andern mit derselben kühlen,
    ein wenig neckischen Höflichkeit und Koketterie behandelte. Da wagte er es
    einmal und forderte sie zum Fahren auf, ohne allzusehr zu erröten und zu
    stottern, aber immerhin mit einigem Herzklopfen. Sie legte eine kleine, in
    weiches Leder gekleidete Linke in seine frostrote Rechte, fuhr mit ihm dahin und verhehlte kaum ihre Belustigung über seine hilflosen Anläufe zu einer
    galanten Konversation. Schließlich machte sie sich mit leichtem Dank und
    Kopfnicken los, und gleich darauf hörte er sie mit ihren Freundinnen, von
    denen manche listig nach ihm herüberschielte, so hell und boshaft lachen, wie es nur hübsche und verwöhnte kleine Mädchen können.
    Das war ihm zu viel, er tat von da an diese ohnehin nicht echte Schwärmerei
    entrüstet von sich ab und machte sich ein Vergnügen daraus, künftighin den
    Fratz, wie er sie jetzt nannte, weder auf dem Eisplatz noch auf der Straße
    mehr zu grüßen.
    Seine Freude darüber, dieser unwürdigen Fesseln einer faden Galanterie wie-
    der ledig zu sein, suchte er dadurch zum Ausdruck zu bringen und womöglich
    zu erhöhen, daß er häufig in den Abendstunden mit einigen verwegenen Ka-
    meraden auf Abenteuer auszog. Sie hänselten die Polizeidiener, klopften an
    erleuchtete Parterrefenster, zogen an Glockensträngen und klemmten elektri-
    sche Drücker mit Zündholzspänen fest, brachten angekettete Hofhunde zur
    Raserei und erschreckten Mädchen und Frauen in entlegenen Vorstadtgassen
    durch Pfiffe, Knallerbsen und Kleinfeuerwerk.
    Karl Bauer fühlte sich bei diesen Unternehmungen im winterlichen Abend-
    dunkel eine Zeitlang überaus wohl; ein fröhlicher Übermut und zugleich ein
    beklemmendes Erlebnisfieber machte ihn dann wild und kühn und bereitete
    ihm ein köstliches Herzklopfen, das er niemand eingestand und das er doch
    wie einen Rausch genoß. Nachher spielte er dann zu Hause noch lange auf
    der Geige oder las spannende Bücher und kam sich dabei vor wie ein vom
    Beutezug heimgekehrter Raubritter, der seinen Säbel abgewischt und an die
    Wand gehängt und einen friedlich leuchtenden Kienspan entzündet hat.
    Als aber bei diesen Dämmerungsfahrten allmählich alles immer wieder auf
    die gleichen Streiche und Ergötzungen hinauslief und als niemals etwas von den heimlich erwarteten richtigen Abenteuern passieren wollte, fing das Vergnügen allmählich an, ihm zu verleiden, und er zog sich von der ausgelassenen Kameradschaft enttäuscht mehr und mehr zurück. Und gerade an jenem Abend,
    da er zum letztenmal mitmachte und nur mit halbem Herzen noch dabei war,
    mußte ihm dennoch ein kleines Erlebnis blühen.
    256
    Die Buben liefen zu viert in der Brühelgasse hin und her, spielten mit kleinen Spazierstöckchen und sannen auf Schandtaten. Der eine hatte einen blechernen Zwicker auf der Nase, und alle vier trugen ihre Hüte und Mützen mit burschikoser Leichtfertigkeit schief auf dem Hinterkopf. Nach einer Weile wurden sie von einem eilig daherkommenden Dienstmädchen überholt, sie streifte rasch
    an ihnen vorbei und trug einen großen Henkelkorb am Arm. Aus dem Korbe
    hing ein langes Stück schwarzes Band herunter, flatterte bald lustig auf und berührte bald mit dem schon beschmutzten Ende den Boden.
    Ohne eigentlich etwas dabei zu denken, faßte Karl Bauer im Übermut nach
    dem Bändel und hielt fest. Während die junge Magd sorglos weiterging, rollte das Band sich immer länger ab, und die Buben brachen in ein frohlockendes
    Gelächter aus. Da drehte das Mädchen sich um, stand wie der Blitz vor den la-chenden Jünglingen, schön und jung und blond, gab dem Bauer eine Ohrfeige,
    nahm das verlorene Band hastig auf und eilte schnell davon.
    Der Spott ging nun über den Gezüchtigten her, aber Karl war ganz schweig-
    sam geworden und nahm an der nächsten Straßenecke kurzen Abschied.
    Es war ihm sonderbar ums Herz. Das Mädchen, dessen Gesicht er nur einen
    Augenblick in der halbdunklen Gasse gesehen hatte, war ihm sehr schön und
    lieb erschienen, und der Schlag von ihrer Hand, so sehr er sich seiner schämte, hatte ihm mehr wohl als

Weitere Kostenlose Bücher