Die Erzaehlungen 1900-1906
kann ja nicht alle Leute auf der
Gasse so genau angucken.
Glücklich atmete er auf, daß sie den Übeltäter von damals nicht in ihm
erkannt hatte; er war schon entschlossen gewesen, sie um Verzeihung zu bitten.
Da war sie an der Ecke ihrer Straße und blieb stehen, um Abschied zu
nehmen. Sie gab der Babett die Hand, und zu Karl sagte sie:
Adieu denn,
Herr Student. Und danke auch schön!
Für was denn?
Für die Musik, für die schöne. Also gut Nacht miteinander.
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Karl streckte ihr, als sie eben umdrehen wollte, die Hand hin und sie legte
die ihre flüchtig darein. Dann war sie fort.
Als er nachher auf dem Treppenabsatz der Babett gut Nacht sagte, fragte
sie:
Nun, ist’s schön gewesen oder nicht?
Schön ist’s gewesen, wunderschön, jawohl , sagte er glücklich und war
froh, daß es so dunkel war, denn er fühlte, wie ihm das warme Blut ins Gesicht stieg.
Die Tage nahmen zu. Es wurde allmählich wärmer und blauer, auch in den
verstecktesten Gräben und Hofwinkeln schmolz das alte graue Grundeis weg,
und an hellen Nachmittagen wehte schon Vorfrühlingsahnung in den Lüften.
Da eröffnete auch die Babett ihren abendlichen Hofzirkel wieder und saß,
so oft es die Witterung dulden wollte, vor der Kellereinfahrt im Gespräch mit ihren Freundinnen und Schutzbefohlenen. Karl aber hielt sich fern und lief
in der Traumwolke seiner Verliebtheit herum. Das Vivarium in seiner Stube
hatte er eingehen lassen, auch das Schnitzen und Schreinern trieb er nicht
mehr. Dafür hatte er sich ein Paar eiserne Hanteln von unmäßiger Größe und
Schwere angeschafft und turnte damit, wenn das Geigen nimmer helfen wollte,
bis zur Erschöpfung in seiner Kammer auf und ab.
Drei- oder viermal war er der hellblonden jungen Magd wieder auf der Gasse
begegnet und hatte sie jedesmal liebenswerter und schöner gefunden. Aber mit ihr gesprochen hatte er nicht mehr und sah auch keine Aussicht dazu offen.
Da geschah es an einem Sonntagnachmittag, dem ersten Sonntag im März,
daß er beim Verlassen des Hauses nebenan im Höflein die Stimmen der ver-
sammelten Mägde erlauschte und in plötzlich erregter Neugierde sich ans an-
gelehnte Tor stellte und durch den Spalt hinausspähte. Er sah die Gret und die fröhliche Margret aus der Binderei dasitzen und hinter ihnen einen lichtblonden Kopf, der sich in diesem Augenblick ein wenig erhob. Und Karl erkannte
sein Mädchen, die blonde Tine, und mußte vor frohem Schrecken erst veratmen
und sich zusammenraffen, ehe er die Tür aufstoßen und zu der Gesellschaft
treten konnte.
Wir haben schon gemeint, der Herr sei vielleicht zu stolz geworden , rief
die Margret lachend und streckte ihm als erste die Hand entgegen. Die Babett drohte ihm mit dem Finger, machte ihm aber zugleich einen Platz frei und
hieß ihn sitzen. Dann fuhren die Weiber in ihren vorigen Gesprächen fort. Karl aber verließ sobald wie möglich seinen Sitz und schritt eine Weile hin und her, bis er neben der Tine haltmachte.
So, sind Sie auch da?
fragte er leise.
Jawohl, warum auch nicht? Ich habe immer geglaubt, Sie kämen einmal.
Aber Sie müssen gewiß alleweil lernen.
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O, so schlimm ist das nicht mit dem Lernen, das läßt sich noch zwingen.
Wenn ich nur gewußt hätte, daß Sie dabei sind, dann wär ich sicher immer
gekommen.
Ach, gehen Sie doch mit so Komplimenten!
Es ist aber wahr, ganz gewiß. Wissen Sie, damals bei der Hochzeit ist es
so schön gewesen.
Ja, ganz nett.
Weil Sie dort gewesen sind, bloß deswegen.
Sagen Sie keine so Sachen, Sie machen ja nur Spaß.
Nein, nein. Sie müssen mir nicht bös sein.
Warum auch bös?
Ich hatte schon Angst, ich sehe Sie am Ende gar nimmer.
So, und was dann?
Dann – dann weiß ich gar nicht, was ich getan hätte. Vielleicht wär ich
ins Wasser gesprungen.
O je, ’s wär schad um die Haut, sie hätt können naß werden.
Ja, Ihnen wär’s natürlich nur zum Lachen gewesen.
Das doch nicht. Aber Sie reden auch ein Zeug, daß man ganz sturm im
Kopf könnt werden. Geben Sie Obacht, sonst auf einmal glaub ich’s Ihnen.
Das dürfen Sie auch tun, ich mein es nicht anders.
Hier wurde er von der herben Stimme der Gret übertönt. Sie erzählte schrill
und klagend eine lange Schreckensgeschichte von einer bösen Herrschaft, die
eine Magd erbärmlich behandelt und gespeist und dann, nachdem sie krank
geworden war, ohne Sang und Klang entlassen hatte. Und kaum war sie mit
dem Erzählen fertig, so fiel der Chor der andern laut und
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