Die Erzaehlungen 1900-1906
völlig dem Augenblick, gerade wie Karl Bauer auch.
Diesem begegnete sie am dritten Abend, als sie ziemlich spät noch auf einen
Ausgang geschickt wurde, in der Nähe ihres Hauses. Er grüßte bescheiden und
sah ziemlich kleinlaut aus. Nun standen die zwei jungen Leute voreinander und wußten nicht recht, was sie einander zu sagen hätten. Die Tine fürchtete, man möchte sie sehen, und trat schnell in eine offenstehende, dunkle Toreinfahrt, wohin Karl ihr ängstlich folgte. Nebenzu scharrten Rosse in einem Stall, und in irgendeinem benachbarten Hof oder Garten probierte ein unerfahrener Dilettant seine Anfängergriffe auf einer Blechflöte.
Was der aber zusammenbläst!
sagte Tine leise und lachte gezwungen.
Tine!
Ja, was denn?
Ach, Tine – –
Der scheue junge wußte nicht, was für ein Spruch seiner warte, aber es wollte ihm scheinen, die Blonde zürne ihm nicht unversöhnlich.
Du bist so lieb , sagte er ganz leise und erschrak sofort darüber, daß er
sie ungefragt geduzt hatte.
Sie zögerte eine Weile mit der Antwort. Da griff er, dem der Kopf ganz
leer und wirbelig war, nach ihrer Hand, und er tat es so schüchtern und hielt die Hand so ängstlich lose und bittend, daß es ihr unmöglich wurde, ihm
den verdienten Tadel zu erteilen. Vielmehr lächelte sie und fuhr dem armen
Liebhaber mit ihrer freien Linken sachte übers Haar.
Bist du mir auch nicht bös?
fragte er, selig bestürzt.
Nein, du Bub, du kleiner , lachte die Tine nun freundlich.
Aber fort muß
ich jetzt, man wartet daheim auf mich. Ich muß ja noch Wurst holen.
Darf ich nicht mit?
Nein, was denkst du auch! Geh voraus und heim, nicht daß uns jemand
beieinander sieht.
Also gut Nacht, Tine.
Ja, geh jetzt nur! Gut Nacht.
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Er hatte noch mehreres fragen und erbitten wollen, aber er dachte jetzt
nimmer daran und ging glücklich fort, mit leichten, ruhigen Schritten, als
sei die gepflasterte Stadtstraße ein weicher Rasenboden, und mit blinden,
einwärtsgekehrten Augen, als komme er aus einem blendend lichten Lande.
Er hatte ja kaum mit ihr gesprochen, aber er hatte du zu ihr gesagt und sie zu ihm, ,er hatte ihre Hand gehalten, und sie war ihm mit der ihren übers Haar
gefahren. Das schien ihm mehr als genug, und auch noch nach vielen Jahren
fühlte er, sooft er an diesen Abend dachte, ein Glück und eine dankbare Güte seine Seele wie ein Lichtschein erfüllen.
Die Tine freilich, als sie nachträglich das Begebnis überdachte, konnte durchaus nimmer begreifen, wie das zugegangen war. Doch fühlte sie wohl, daß Karl an diesem Abend ein Glück erlebt habe und ihr dafür dankbar sei, auch vergaß sie seine kindliche Verschämtheit nicht und konnte schließlich in dem Geschehenen kein so großes Unheil finden. Immerhin wußte sich das kluge Mädchen
von jetzt an für den Schwärmer verantwortlich und nahm sich vor, ihn so
sanft und sicher wie möglich an dem angesponnenen Faden zum Rechten zu
führen. Denn daß eines Menschen erste Verliebtheit, sie möge noch so heilig
und köstlich sein, doch nur ein Behelf und ein Umweg sei, das hatte sie, es
war noch nicht so lange her, selber mit Schmerzen erfahren. Nun hoffte sie,
dem Kleinen ohne unnötiges Wehtun über die Sache hinüberzuhelfen.
Das nächste Wiedersehen geschah erst am Sonntag bei der Babett. Dort
begrüßte Tine den Gymnasiasten freundlich, nickte ihm von ihrem Platze aus
ein- oder zweimal lächelnd zu, zog ihn mehrmals mit ins Gespräch und schien
im übrigen nicht anders mit ihm zu stehen als früher. Für ihn aber war jedes Lächeln von ihr ein unschätzbares Geschenk und jeder Blick eine Flamme, die
ihn mit Glanz und Glut umhüllte.
Einige Tage später aber kam Tine endlich dazu, deutlich mit dem Jungen
zu reden. Es war nachmittags nach der Schule, und Karl hatte wieder in der
Gegend um ihr Haus herum gelauert, was ihr nicht gefiel. Sie nahm ihn durch
den kleinen Garten in einen Holzspeicher hinter dem Hause mit, wo es nach
Sägespänen und trockenem Buchenholz roch. Dort nahm sie ihn vor, unter-
sagte ihm vor allem sein Verfolgen und Auflauern und machte ihm klar, was
sich für einen jungen Liebhaber von seiner Art gebühre.
Du siehst mich jedesmal bei der Babett, und von dort kannst du mich ja
allemal begleiten, wenn du magst, aber nur bis dahin, wo die andern mitgehen, nicht den ganzen Weg. Allein mit mir gehen darfst du nicht, und wenn du vor
den andern nicht Obacht gibst und dich zusammennimmst, dann geht alles
schlecht. Die Leute
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