Die Erzaehlungen 1900-1906
mißfallen, daß der Lump ihn weder mit Herr
noch mit Sie titulierte.
Könnt Ihr nicht höflicher sein, Beckeler?
fragte er gekränkt.
Nein, Kömpff , grinste der Alte,
das kann ich nicht, so leid mir’s tut.
Und warum denn nicht?
Weil mir niemand was dafür gibt, und umsonst ist der Tod. Hat mir viel-
leicht der hochgeehrte Herr von Kömpff irgendeinmal was geschenkt oder zu-
gewendet? O nein, der reiche Herr von Kömpff hat das noch nie getan, der ist viel zu fein und zu stolz, als daß er ein Aug auf einen armen Teufel könnte
haben. Ist’s so, oder ist’s nicht so?
Ihr wißt gut, warum. Was fangt Ihr an mit einem Almosen? Vertrinken,
weiter nichts, und zum Vertrinken hab ich kein Geld und geh auch keins.
So, so. Na, denn gute Nacht, und angenehme Ruhe, Bruderherz.
Wieso Bruderherz?
Sind nicht alle Menschen Brüder, Kömpff. He? Ist vielleicht der Heiland
bloß für dich gestorben und für mich nicht?
Redet nicht so, mit diesen Sachen treibt man keinen Spaß.
Hab ich Spaß getrieben?
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Kömpff besann sich. Die Worte des Lumpen trafen mit seinen grüblerischen
Gedanken zusammen und regten ihn wunderlich auf.
Gut denn , sagte er freundlich,
steht einmal auf. Ich will Euch gern
etwas geben.
Ei, schau!
Ja, aber Ihr müßt mir versprechen, daß Ihr’s nicht vertrinkt. Ja?
Beckeler zuckte die Achseln. Er war heute in seiner freimütigen Laune.
Versprechen kann ich’s schon, aber Halten steht auf einem andern Blatt.
Geld, wenn ich’s nicht verbrauchen darf, wie ich will, ist so gut wie kein Geld.
Es ist zu Eurem Besten, was ich sage, Ihr dürft mir’s glauben.
Der Trinker lachte.
Ich bin jetzt vierundsechzig Jahre alt. Glaubt Ihr wirk-
lich, daß Ihr besser wißt, was mir gut ist, als ich selber? Glaubt Ihr?
Mit dem schon hervorgezogenen Geldbeutel in der Hand stand Kömpff ver-
legen da. Er war im Reden und Antwortenkönnen nie stark gewesen und fühlte
sich diesem vogelfreien Menschen gegenüber, der ihn Bruderherz nannte und
sein Wohlwollen verschmähte, hilflos und unterlegen. Schnell und fast ängstlich nahm er einen Taler heraus und steckte ihn dem Beckeler hin.
Nehmt also . . .
Erstaunt nahm Alois Beckeler das große Geldstück hin, hielt es vors Auge
und schüttelte den struppigen Kopf. Dann begann er, sich demütig, umständ-
lich und beredt zu bedanken. Kömpff war über die Höflichkeit und Selbster-
niedrigung, zu der ein Stück Geld den Philosophen vermocht hatte, beschämt
und traurig und lief schnell davon.
Dennoch empfand er eine Erleichterung und kam sich vor, als hätte er eine
Tat vollbracht. Daß er dem Beckeler einen Taler zum Vertrinken geschenkt
hatte, war für ihn eine abenteuerliche Extravaganz, mindestens so kühn und
unerhört, als wenn er selber das Geld verludert hätte. Er kehrte an diesem
Abend so zeitig und zufrieden heim wie seit Wochen nicht mehr.
Für den Göckeler brach jetzt eine gesegnete Zeit an. Alle paar Tage gab
ihm Walter Kömpff ein Stück Geld, bald eine Mark, bald einen Fünfziger, so
daß das Wohlleben kein Ende nahm. Einmal, als er am Kömpffschen Laden
vorüberkam, rief ihn der Herr herein und schenkte ihm ein Dutzend gute
Zigarren. Die Holderlies war zufällig dabei und trat dazwischen.
Aber Sie werden doch dem Lumpen nicht von den teuren Zigarren geben!
Sei ruhig , sagte der Herr,
warum soll er’s nicht auch einmal gut haben?
Und der alte Taugenichts blieb nicht der einzige Beschenkte. Den einsamen
Grübler befiel eine zunehmende Lust am Weggeben und Freudemachen. Ar-
men Weibern gab er im Laden das doppelte Gewicht oder nahm kein Geld
von ihnen, den Fuhrleuten gab er am Markttag überreiche Trinkgelder, und
Bauernfrauen legte er gern bei ihren Einkäufen ein Extrapäckchen Zichorie
oder eine Handvoll Korinthen in den Korb.
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Das konnte nicht lange dauern, ohne aufzufallen. Zuerst bemerkte es die
Holderlies, und sie machte dem Herrn schwere, unablässige Vorwürfe, die zwar erfolglos blieben, ihn aber nicht wenig beschämten und quälten, so daß er
allmählich seine Verschwendungslust vor ihr verstecken lernte. Darüber wurde die treue Seele mißtrauisch und begann sich aufs Spionieren zu legen, und das alles brachte den Hausfrieden ins Wanken.
Nächst der Lies und dem Göckeler waren es die Kinder, denen des Kauf-
manns sonderbare Freigebigkeit auffiel. Sie kamen immer öfter mit einem Pfennig daher, verlangten Zucker, Süßholz oder Johannisbrot und bekamen davon,
soviel sie wollten. Und
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