Die Erzaehlungen 1900-1906
wenn die Lies aus Scham und der Beckeler aus Klug-
heit schwieg, die Kinder taten es nicht, sondern verbreiteten die Kunde von
Kömpffs großartiger Laune in der ganzen Stadt.
Merkwürdig war es, daß er selber wider diese Freigebigkeit kämpfte und sich
vor ihr fürchtete. Nachdem er tagsüber Pfunde verschenkt und verschwendet
hatte, befiel ihn abends beim Geldzählen und beim Buchführen Entsetzen über
diese liederliche, unkaufmännische Wirtschaft. Angstvoll rechnete er nach und versuchte seinen Schaden zu berechnen, sparte beim Bestellen und Einkaufen,
forschte nach wohlfeilen Quellen, und alles nur, um andern Tages von neuem
zu vergeuden und seine Freude am Geben zu haben. Die Kinder jagte er bald
scheltend fort, bald belud er sie mit guten Sachen. Nur sich selber gönnte
er nichts, er sparte am Haushalt und an der Kleidung, gewöhnte sich den
Nachmittagskaffee ab und ließ das Weinfäßchen im Keller, als es leer war,
nicht mehr füllen.
Die mißlichen Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Kaufleute beschwer-
ten sich mündlich und in groben Briefen bei ihm, daß er ihnen mit seinem sinn-losen Dreingeben und Schenken die Kunden weglocke. Manche solide Bürger
und auch schon mehrere seiner Kunden vom Lande, die an seinem veränderten
Wesen Anstoß nahmen, mieden seinen Laden und begegneten ihm, wo sie ihm
nicht ausweichen konnten, mit unverhohlenem Mißtrauen. Auch stellten ihn
die Eltern einiger Kinder, denen er Leckereien und Feuerwerk gegeben hatte,
ärgerlich zur Rede. Sein Ansehen unter den Honoratioren, mit dem es schon
einige Zeit her nicht glänzend mehr ausgesehen hatte, schwand dahin und
ward ihm durch eine zweifelhafte Beliebtheit bei den Geringen und Armen
doch nicht ersetzt. Ohne diese Veränderungen im einzelnen allzu schwer zu
nehmen, hatte Kömpff doch das Gefühl eines unaufhaltsamen Gleitens ins
Ungewisse. Es kam immer häufiger vor, daß er von Bekannten mit spöttischer
oder mitleidiger Gebärde begrüßt wurde, daß auf der Straße hinter ihm ge-
sprochen und gelacht ward, daß ernste Leute ihm mit Unbehagen auswichen.
Die paar alten Herren, die zur Freundschaft seines Vaters gehört hatten und
einigemal mit Vorwürfen, Rat und Zuspruch zu ihm gekommen waren, blieben
bald aus und wandten sich ärgerlich von ihm ab. Und immer mehr verbreitete
392
sich in der Stadt die Ansicht, Walter Kömpff sei im Kopf nimmer recht und
gehöre bald ins Narrenhaus.
Mit der Kaufmannschaft war es jetzt zu Ende, das sah der gequälte Mann
selber am besten ein. Aber ehe er die Bude endgültig zumachte, beging er
noch eine Tat unkluger Großmut, die ihm viele Feinde machte.
Eines Montags verkündete er durch eine Anzeige im Wochenblatt, von heute
an gebe er jede Ware zu dem Preis, den sie ihn selber koste.
Einen Tag lang war der Laden voll wie noch nie. Die feinen Leute blie-
ben aus, sonst aber kam jedermann, um von dem offenbar übergeschnappten
Händler seinen Vorteil zu ziehen. Die Waage kam den ganzen Tag nicht zum
Stillstand, und das Ladenglöcklein schellte sich heiser. Körbe und Säcke voll spottbillig erworbener Sachen wurden fortgetragen. Die Holderlies war außer
sich. Da ihr Herr nicht auf sie hörte und sie aus dem Laden verwies, stellte sie sich in der Haustür auf und sagte jedem Käufer, der aus dem Laden kam, ihre
Meinung. Es gab einen Skandal über den andern, aber die verbitterte Alte
hielt aus und suchte jedem, der nicht ganz dickfellig war, seinen wohlfeilen Einkauf ordentlich zu versalzen.
Willst nicht auch noch zwei Pfennig geschenkt haben?
fragte sie den
einen, und zum andern sagte sie:
Das ist nett, daß Ihr wenigstens den La-
dentisch habt stehenlassen.
Aber zwei Stunden vor Feierabend erschien der Bürgermeister in Beglei-
tung des Amtsdieners und befahl, daß der Laden geschlossen werde. Kömpff
weigerte sich nicht und machte sogleich die Fensterläden zu. Tags darauf muß-
te er aufs Rathaus und wurde nur auf seine Erklärung, daß er sein Geschäft
aufzugeben entschlossen sei, mit Kopfschütteln wieder laufen gelassen.
Den Laden war er nun los. Er ließ seine Firma aus dem Handelsregister
streichen, da er sein Geschäft weder verpachten noch verkaufen wollte. Die
noch vorhandenen Vorräte, soweit sie dazu paßten, verschenkte er wahllos an
arme Leute. Die Lies wehrte sich um jedes Stück und brachte Kaffeesäcke und
Zuckerhüte und alles, wofür sie irgend Raum fand, für den Haushalt beiseite.
Ein entfernter
Weitere Kostenlose Bücher