Die Erzaehlungen 1900-1906
dem Schwäbischen Hof? Da war seinerzeit einer namens
Schuster drauf.
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Der ist noch da, und das Haus gilt für gut.
Dann will ich dort einkehren.
Mehrmals machte mein Begleiter Miene, sich mir vorzustellen, doch ließ ich
es nicht dazu kommen. So fuhren wir durch den lichten, farbigen Tag.
Es geht so doch ringer als zu Fuß , meinte der Ilgenberger.
Aber zu Fuß ist es gesünder.
Wenn man gute Stiefel hat. Übrigens ist Ihr Gaul ein lustiger Patron, mit
seinen Flecken.
Er seufzte ein wenig und lachte dann.
Fällt’s Ihnen auch auf? Freilich, die Flecken sind gespäßig. In der Stadt
haben sie ihn mir >die Kuh< getauft, und man soll die Leute spotten lassen, aber es ärgert mich doch.
Gehalten ist das Tier gut.
Nicht wahr? Es geht ihm nichts ab. Sehen Sie, ich hab das Rößlein gern.
Jetzt spitzt es schon die Ohren, weil wir von ihm reden. Es ist sieben Jahr
alt.
In der letzten Stunde redeten wir wenig mehr. Mein Begleiter schien er-
müdet, und mir nahm der Anblick der mit jedem Schritt vertrauter werden-
den Gegend alle Gedanken gefangen. Ein bang-köstliches Gefühl, Orte der
Jugendzeit wiederzusehen! Erinnerungen blitzen in verwirrender Menge auf,
man lebt ganze Entwicklungen in traumhafter Sekundeneile wieder durch, un-
wiederbringlich Verlorenes blickt uns heimatlich und schmerzlich an.
Eine schwache Erhöhung, über die unser Wagen im Trabe lief, öffnete den
Blick auf die Stadt. Zwei Kirchen, ein Mauerturm, der hohe Rathausgiebel
lachten aus dem Gewirr der Häuser, Gassen und Gärten herüber. Daß ich
den humoristischen Zwiebelturm einmal mit Rührung und klopfendem Herzen
begrüßen würde, hätte ich damals nicht gedacht. Er schielte mich mit seinem
heimlichen Kupferglanz behaglich an, als kenne er mich noch und als habe er
schon ganz andere Ausreißer und Weltstürmer als bescheidene und stille Leute heimkommen sehen.
Noch sah ich die unvermeidlichen Veränderungen, Neubauten und Vorstadt-
straßen nicht, alles sah aus wie vorzeiten, und mich überfiel beim Anblick die Erinnerung wie ein heißer Südsturm. Unter diesen Türmen und Dächern hatte ich die märchenhafte Jugendzeit gelebt, sehnsuchtsvolle Tage und Nächte,
wunderbare schwermütige Frühlinge und lange, in der schlecht geheizten Man-
sarde verträumte Winter. In diesen Gartensträßchen war ich nachts in Liebes-
zeiten brennend und verzweifelnd umhergewandert, den heißen Kopf voll von
abenteuerlichen Plänen. Und hier war ich glücklich gewesen über den Gruß ei-
nes Mädchens und über die ersten schüchternen Gespräche und Küsse unserer
Liebe.
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Ja, es zieht sich noch , sagte der Kaufmann,
aber in zehn Minuten sind
wir daheim.
Daheim! dachte ich. Du hast gut reden.
Garten um Garten, Bild um Bild glitt an mir vorüber, Dinge, an die ich nie
mehr gedacht hatte und die mich nun empfingen, als sei ich nur für Stunden
fortgewesen. Ich hielt es nimmer im Wagen aus.
Bitte, halten Sie einen Augenblick, ich gehe von hier vollends zu Fuß hin-
ein.
Etwas erstaunt zog er die Zügel an und ließ mich absteigen. Ich hatte ihm
schon gedankt und die Hand gedrückt und wollte gehen, da hustete er und
sagte:
Vielleicht sehen wir uns noch, wenn Sie im Schwäbischen Hof wohnen
wollen. Darf ich um Ihren Namen bitten?
Zugleich stellte er sich vor. Er hieß Herschel und war, ich konnte nicht
zweifeln, Julies Mann.
Ich hätte ihn am liebsten erschlagen, doch nannte ich meinen Namen, zog
den Hut und ließ ihn weiterfahren. Also das war Herr Herschel. Ein ange-
nehmer Mann, und wohlhabend. Wenn ich an Julie dachte, was für ein stolzes
und prächtiges Mädchen sie gewesen war und wie sie meine damaligen phanta-
stisch kühnen Ansichten und Lebenspläne verstanden und geteilt hatte, dann
würgte es mich im Hals. Mein Zorn war augenblicks verflogen. Gedankenlos in
tiefer Traurigkeit ging ich durch die alte, kahle Kastanienallee in das Städtchen hinein.
Im Gasthaus war gegen früher alles ein wenig feiner und modern geworden,
es gab sogar ein Billard und vernickelte Serviettenbehälter, die wie Globusse aussahen. Der Wirt war noch derselbe, Küche und Keller waren einfach und
gut geblieben. Im alten Hof stand noch der schlanke Ahornbaum und lief
noch der zweiröhrige Trogbrunnen, in deren kühler Nachbarschaft ich manche
warme Sommerabende bei einem Bier vertrödelt hatte.
Nach dem Essen machte ich mich auf und schlenderte langsam durch die
wenig veränderten Straßen, las die alten
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