Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
die Waldbesitzer und Fuhrleute, mit denen der Ilgenberger Händler
    den Holzkauf abgeschlossen hatte. Mich hielten sie offenbar für einen Geschäf-temacher oder Beamten und trauten mir nicht. So ließ ich sie auch in Ruhe.
    Kaum hatte ich gegessen und lehnte mich im Sessel zurecht, da fing der
    Mädchengesang von vorher plötzlich wieder an, ganz laut und nahe. Sie sangen das Lied von der schönen Gärtnersfrau, und beim dritten Vers stand ich auf
    und ging an die Küchentür und klinkte leise auf. Da saßen zwei junge Dirnen
    und eine ältere Magd am weißen tannenen Tisch bei einem Kerzenstumpf,
    hatten einen Berg Bohnen zum Ausschoten vor sich und sangen. Wie die ältere
    aussah, weiß ich nicht mehr. Aber von den jungen war die eine rötlichblond,
    breit und blühend, und die zweite war eine schöne Braune mit ernstem Gesicht.
    Sie hatte die Zöpfe in einem sogenannten
    Nest
    rund um den Kopf gewunden
    und sang selbstvergessen mit einer hellen Kinderstimme vor sich hin, während das sich spiegelnde Kerzenflämmlein in ihren Augen blitzte.
    Als sie mich in der Tür stehen sahen, lachte die Alte, die Rötliche schnitt
    eine Fratze, und die Braune sah mir eine Weile ins Gesicht, dann senkte sie
    den Kopf, wurde ein wenig rot und sang lauter. Sie fingen gerade einen neuen Vers an, und ich fiel mit ein, so gut ich es vermochte. Dann holte ich meinen Wein herüber, nahm einen dreibeinigen Schemel her und setzte mich singend
    mit an den Küchentisch. Die Rotblonde schob mir eine Handvoll Bohnen zu,
    und ich half denn mit aushülsen.
    Als alle die vielen Strophen ausgesungen waren, sahen wir einander an und
    mußten lachen, was der Braunen überaus prächtig zu Gesichte stand. Ich bot
    438
    ihr mein Glas hin, doch nahm sie es nicht an.
    Sie sind aber eine Stolze , sagte ich betrübt.
    Sind Sie denn etwa von
    Stuttgart?
    Nein. Warum von Stuttgart?
    Weil es heißt:
    Stuegert isch e schöne Stadt,
    Stuegert lit im Tale,
    wo’s so schöne Mädle hat,
    aber so brutale.
    Er ist ein Schwab , sagte die Alte zur Blonden.
    Ja, er ist einer , bestätigte ich.
    Und Sie sind vom Oberland, wo die
    Schlehen wachsen.
    Kann sein , meinte sie und kicherte.
    Ich sah aber immer die Braune an, und ich setzte aus Bohnen den Buchsta-
    ben M zusammen und fragte sie, ob sie so heiße. Sie schüttelte den Kopf, und ich machte nun ein A. Da nickte sie, und ich begann nun zu raten.
    Agnes?
    Nein.
    Anna?
    Nichts.
    Adelheid?
    Auch nicht.
    Und soviel ich riet, es war alles falsch; sie aber wurde ganz fröhlich darüber und rief schließlich:
    O, Sie Unvernunft!
    Als ich sie dann sehr bat, sie möchte
    mir jetzt ihren Namen sagen, schämte sie sich eine kleine Zeit, dann sagte sie schnell und leise:
    Agathe
    und wurde rot dabei, wie wenn sie ein Geheimnis
    preisgegeben hätte.
    Sind Sie auch ein Holzhändler?
    fragte die Blonde.
    Nein, das nicht. Seh ich denn so aus?
    Oder ein Geometer, nicht?
    Auch nicht. Warum soll ich Geometer sein?
    Warum? Darum.
    Ihr Schatz wird einer sein, gelt?
    Mir wär’s schon recht.
    Singen wir noch eins, zum Schluß?
    fragte die Schöne, und während die
    letzten Schoten uns durch die Finger gingen, sangen wir das Lied
    Steh ich
    in finstrer Mitternacht . Als das zu Ende war, standen die Mädchen auf und
    ich auch.
    439
    Gut Nacht , sagte ich zu jeder und gab jeder die Hand, und zu der Brau-
    nen sagte ich:
    Gut Nacht, Agathe.
    In der Wirtsstube brachen jetzt auch die drei Rauhbeine auf. Sie nahmen
    keinerlei Notiz von mir, tranken langsam ihre Reste aus und zahlten nichts,
    waren also jedenfalls für diesen Abend die Gäste des Ilgenbergers gewesen.
    Gute Nacht auch , sagte ich, als sie gingen, bekam aber keine Antwort
    und schlug hinter den Dickköpfen die Türe zu. Gleich darauf kam die Wirtin
    mit Pferdedecken und einem Bettkissen. Wir bauten aus der Ofenbank und
    drei Stühlen ein leidliches Nachtlager, und zum Trost teilte die Frau mir beim Weggehen mit, das Übernachten solle mich nichts kosten. Das war mir auch
    recht.
    Halb ausgekleidet und mit meinem Mantel zugedeckt, lag ich am Ofen, der
    noch wohlig wärmte, und dachte an die braune Agathe. Ein Vers aus einem
    alten frommen Liede, das ich in Kinderzeiten oft mit meiner Mutter gesungen
    hatte, fiel mir ein:
    Schön sind die Blumen,
    schöner sind die Menschen
    in der schönen Jugendzeit – – –
    So eine war Agathe, schöner als Blumen und doch mit ihnen verwandt. Es
    gibt überall, in allen Ländern, einzelne solche Schönheiten, doch sind sie nicht allzu

Weitere Kostenlose Bücher