Die Erzaehlungen 1900-1906
die Waldbesitzer und Fuhrleute, mit denen der Ilgenberger Händler
den Holzkauf abgeschlossen hatte. Mich hielten sie offenbar für einen Geschäf-temacher oder Beamten und trauten mir nicht. So ließ ich sie auch in Ruhe.
Kaum hatte ich gegessen und lehnte mich im Sessel zurecht, da fing der
Mädchengesang von vorher plötzlich wieder an, ganz laut und nahe. Sie sangen das Lied von der schönen Gärtnersfrau, und beim dritten Vers stand ich auf
und ging an die Küchentür und klinkte leise auf. Da saßen zwei junge Dirnen
und eine ältere Magd am weißen tannenen Tisch bei einem Kerzenstumpf,
hatten einen Berg Bohnen zum Ausschoten vor sich und sangen. Wie die ältere
aussah, weiß ich nicht mehr. Aber von den jungen war die eine rötlichblond,
breit und blühend, und die zweite war eine schöne Braune mit ernstem Gesicht.
Sie hatte die Zöpfe in einem sogenannten
Nest
rund um den Kopf gewunden
und sang selbstvergessen mit einer hellen Kinderstimme vor sich hin, während das sich spiegelnde Kerzenflämmlein in ihren Augen blitzte.
Als sie mich in der Tür stehen sahen, lachte die Alte, die Rötliche schnitt
eine Fratze, und die Braune sah mir eine Weile ins Gesicht, dann senkte sie
den Kopf, wurde ein wenig rot und sang lauter. Sie fingen gerade einen neuen Vers an, und ich fiel mit ein, so gut ich es vermochte. Dann holte ich meinen Wein herüber, nahm einen dreibeinigen Schemel her und setzte mich singend
mit an den Küchentisch. Die Rotblonde schob mir eine Handvoll Bohnen zu,
und ich half denn mit aushülsen.
Als alle die vielen Strophen ausgesungen waren, sahen wir einander an und
mußten lachen, was der Braunen überaus prächtig zu Gesichte stand. Ich bot
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ihr mein Glas hin, doch nahm sie es nicht an.
Sie sind aber eine Stolze , sagte ich betrübt.
Sind Sie denn etwa von
Stuttgart?
Nein. Warum von Stuttgart?
Weil es heißt:
Stuegert isch e schöne Stadt,
Stuegert lit im Tale,
wo’s so schöne Mädle hat,
aber so brutale.
Er ist ein Schwab , sagte die Alte zur Blonden.
Ja, er ist einer , bestätigte ich.
Und Sie sind vom Oberland, wo die
Schlehen wachsen.
Kann sein , meinte sie und kicherte.
Ich sah aber immer die Braune an, und ich setzte aus Bohnen den Buchsta-
ben M zusammen und fragte sie, ob sie so heiße. Sie schüttelte den Kopf, und ich machte nun ein A. Da nickte sie, und ich begann nun zu raten.
Agnes?
Nein.
Anna?
Nichts.
Adelheid?
Auch nicht.
Und soviel ich riet, es war alles falsch; sie aber wurde ganz fröhlich darüber und rief schließlich:
O, Sie Unvernunft!
Als ich sie dann sehr bat, sie möchte
mir jetzt ihren Namen sagen, schämte sie sich eine kleine Zeit, dann sagte sie schnell und leise:
Agathe
und wurde rot dabei, wie wenn sie ein Geheimnis
preisgegeben hätte.
Sind Sie auch ein Holzhändler?
fragte die Blonde.
Nein, das nicht. Seh ich denn so aus?
Oder ein Geometer, nicht?
Auch nicht. Warum soll ich Geometer sein?
Warum? Darum.
Ihr Schatz wird einer sein, gelt?
Mir wär’s schon recht.
Singen wir noch eins, zum Schluß?
fragte die Schöne, und während die
letzten Schoten uns durch die Finger gingen, sangen wir das Lied
Steh ich
in finstrer Mitternacht . Als das zu Ende war, standen die Mädchen auf und
ich auch.
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Gut Nacht , sagte ich zu jeder und gab jeder die Hand, und zu der Brau-
nen sagte ich:
Gut Nacht, Agathe.
In der Wirtsstube brachen jetzt auch die drei Rauhbeine auf. Sie nahmen
keinerlei Notiz von mir, tranken langsam ihre Reste aus und zahlten nichts,
waren also jedenfalls für diesen Abend die Gäste des Ilgenbergers gewesen.
Gute Nacht auch , sagte ich, als sie gingen, bekam aber keine Antwort
und schlug hinter den Dickköpfen die Türe zu. Gleich darauf kam die Wirtin
mit Pferdedecken und einem Bettkissen. Wir bauten aus der Ofenbank und
drei Stühlen ein leidliches Nachtlager, und zum Trost teilte die Frau mir beim Weggehen mit, das Übernachten solle mich nichts kosten. Das war mir auch
recht.
Halb ausgekleidet und mit meinem Mantel zugedeckt, lag ich am Ofen, der
noch wohlig wärmte, und dachte an die braune Agathe. Ein Vers aus einem
alten frommen Liede, das ich in Kinderzeiten oft mit meiner Mutter gesungen
hatte, fiel mir ein:
Schön sind die Blumen,
schöner sind die Menschen
in der schönen Jugendzeit – – –
So eine war Agathe, schöner als Blumen und doch mit ihnen verwandt. Es
gibt überall, in allen Ländern, einzelne solche Schönheiten, doch sind sie nicht allzu
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