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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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häufig, und so oft ich eine sah, hat es mir wohlgetan. Sie sind wie große Kinder, so scheu wie zutraulich, und haben in ihren ungetrübten Augen den
    Blick eines schönen Tieres oder einer Waldquelle. Man sieht sie an und hat
    sie lieb, ohne ihrer zu begehren, und während man sie ansieht, will es einem weh tun, daß diese feinen Bilder der Jugend und Menschenblüte auch einmal
    altern und vergehen müssen.
    Bald schlief ich ein, und es mag von der Ofenwärme gekommen sein, daß
    mir träumte, ich liege am Felsgestade einer südlichen Insel, spüre die heiße Sonne auf meinem Rücken brennen und sähe einem braunen Mädchen zu, das
    allein in einer Barke seewärts ruderte und langsam ferner und kleiner wurde.
    Morgengang
    Erst als der Ofen erkaltet war und mir die Füße starr wurden, wachte ich
    frierend auf, und da war es auch schon Morgen, und nebenzu in der Küche
    hörte ich jemand den Herd anheizen. Draußen lag, zum erstenmal in diesem
    Herbst, ein dünner Reif auf den Wiesen. Ich war vom harten Liegen steif und
    mitgenommen, aber gut ausgeschlafen. In der Küche, wo die alte Magd mich
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    begrüßte, wusch ich mich am Wasserstein und bürstete meine Kleider aus, die
    gestern bei dem windigen Wetter sehr staubig geworden waren.
    Kaum saß ich in der Stube beim heißen Kaffee, da kam der Gast aus der
    Stadt herein, grüßte höflich und setzte sich zu mir an den Tisch, wo schon
    für ihn gedeckt war. Er tat aus einer flachen Reiseflasche ein wenig alten
    Kirschgeist in seine Tasse und bot auch mir davon an.
    Danke , sagte ich,
    ich trinke keinen Schnaps.
    Wirklich? Sehen Sie, ich muß es tun, weil ich die Milch sonst nicht vertra-
    gen kann, leider. Jeder hat ja so seine Bresten.
    Na, wenn Ihnen sonst nichts fehlt, dürfen Sie nicht klagen.
    Gewiß, ja.
    Ich klage auch nicht. Es liegt mir fern –
    Er gehörte zu den Leuten, denen es ein Bedürfnis ist, sich ohne Ursache
    zu entschuldigen. Im übrigen machte er einen anständigen Eindruck, etwas zu
    höflich, aber intelligent und offen. Gekleidet war er kleinstädtisch, sehr solid und sauber, aber schwerfällig.
    Auch er musterte mich, und da er mich in Kniehosen sah, fragte er, ob ich
    auf dem Veloziped gekommen sei.
    Nein, zu Fuß.
    So, so. Eine Fußtour, ich verstehe. Ja, der Sport ist eine schöne Sache,
    wenn man Zeit hat.
    Sie haben Holz gekauft?
    O, eine Kleinigkeit, nur für den eigenen Bedarf.
    Ich dachte, Sie wären Holzhändler.
    Nein, doch nicht. Ich habe ein Tuchgeschäft. Das heißt einen Tuchladen,
    wissen Sie.
    Wir aßen Butterbrot zum Kaffee, und während er sich Butter nahm, fielen
    mir seine wohlgebildeten langen und schmalen Hände auf.
    Den Weg nach Ilgenberg schätzte er auf sechs Stunden. Er hatte seinen
    Wagen da und lud mich freundlich zum Mitfahren ein, doch nahm ich nicht
    an. Ich fragte nach Fußwegen und bekam leidliche Auskunft. Dann rief ich die Wirtin und zahlte meine kleine Zeche, steckte Brot in die Tasche, sagte dem
    Kaufmann Adieu und ging die Treppe hinab und durch den gepflasterten Flur
    in den kalten Morgen hinaus.
    Vor dem Hause stand des Tuchhändlers Gefährt, eine leichte zweisitzige
    Kutsche, und eben zog ein Knecht den Gaul aus dem Stall, ein kleines fettes
    Rößlein, das weiß und rötlich wie eine Kuh gefleckt war.
    Der Weg führte talaufwärts, eine Strecke den Bach entlang, dann ansteigend
    gegen die Waldhöhen. Indem ich allein dahinmarschierte, fiel mir ein, daß
    ich im Grunde alle meine Wege so einsam gemacht habe, und nicht nur die
    Spaziergänge, sondern alle Schritte meines Lebens. Freunde und Verwandte,
    gute Bekannte und Liebschaften waren ja immer dabei, aber sie umfaßten
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    mich nie, erfüllten mich nie, rissen mich nie in andere Bahnen, als die ich
    selber einschlug. Vielleicht ist jedem Menschen, er sei wie er wolle, wie einem geschleuderten Ball seine Wurfbahn vorgezeichnet, und er folgt einer längst
    bestimmten Linie, während er das Schicksal zu zwingen oder zu hänseln meint.
    jedenfalls aber ruht das
    Schicksal
    in uns und nicht außer uns, und damit
    bekommt die Oberfläche des Lebens, das sichtbare Geschehen, eine gewisse
    Unwichtigkeit. Was man gewöhnlich schwer nimmt und gar tragisch nennt,
    wird dann oft zur Bagatelle. Und dieselben Leute, die vor dem Anschein des
    Tragischen in die Knie sinken, leiden und gehen unter an Dingen, die sie nie beachtet haben.
    Ich dachte: was treibt mich jetzt, mich freien Mann, nach dem Städtlein
    Ilgenberg, wo Häuser und Menschen mich nichts

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