Die Erzaehlungen 1900-1906
Grundriß des Hauses, das er bauen will, gefunden hat, und der Musiker, dem aus zwanzig wirren Skizzenblättern plötzlich das Gefüge einer Symphonie
schön und organisch entgegenblickt, fühlt augenblicks alle Kräfte seines We-
sens nach dieser Aufgabe hin drängen, sie sei groß oder klein, und sieht sich von einem süß quälenden Fieber ergriffen, das nicht zu stillen ist als durch die Vollendung des im Innern geschauten Werkes, und diese Ergriffenheit und
quälende Begierde ist von derselben Art und aus derselben Quelle wie die Lie-be eines jungen Mannes zu einer Frau. Gesteigert und überklar stehen Ent-
schlüsse da wie Träume, in welchen unerfüllte heimliche Wünsche in der Tiefe des Unbewußten ihre Erlösung finden. So war der Zustand des Malers, als er
beim Schein der Lampe ungesucht seinen Plan vor sich stehen sah. Er wollte
in einer Reihe von Zeichnungen das Epos des Gerbersauer Bürgers erzählen,
und dieser Bürger mußte der Notar Trefz sein.
Man sollte ihn sehen, wie er als Neugeborner seinem Papa dargereicht, vom
Stadtpfarrer getauft, als Dreijähriger mit der ersten Hose geschmückt, als
Sechsjähriger zur Schule gebracht wurde. Er sollte vom ersten Apfeldiebstahl bis zur ersten Liebschaft, von der Taufe bis zur Konfirmation und Hochzeit,
er sollte als Schüler, als halbreifer Gymnasiast, als Student, als Kandidat, als Bräutigam, als Gemeinderat und Beamter, als Redner und als Jubilar, als
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Vereinsvorstand und schließlich als Bürgermeister dargestellt werden, stets
derselbe Trefz, der Typus des strebsamen Bürgers, der mit großer Energie
und großem Stolze kleinen Zielen nachgeht und sie alle erreicht, der beständig zu tun hat und niemals fertig und niemals begnügt ist und doch von der ersten Hose bis zum Begräbnis derselbe bleibt, dessen Unersetzlichkeit jeder tief empfindet und der doch als tröstlichen Ersatz einen Nachwuchs hinterläßt, in welchem von der Nasenwurzel bis zum Fuß, von der Mundart bis zur Denkart
der aus Urzeiten heraufgezüchtete Typ des Vaters wohlerhalten und bedeut-
sam fortgebildet erscheint.
Als Hermann Lautenschlager, von der großen Idee bewegt und nach keinem
Schlaf verlangend, ziemlich spät in guter Laune noch den Adler aufsuchte und sich zu einem Schoppen Traminer setzte, sah er dort den Dr. Trefz bei seinem neuen Freunde Julius Dreiß sitzen und hatte seine Freude an ihm, als sei er
sein Eigentum und laufe lediglich zu seiner Belustigung auf der Welt umher.
Trefz hatte sich bei seinem Eintreten verstimmt abgewandt. Desto vergnügter
begrüßte ihn der Herr Dreiß, ja er bat, als merke er nichts von Trefzens Ab-
neigung, den Ankömmling aufs freundschaftlichste, an seinem Tisch Platz zu
nehmen.
Der Maler fühlte einen Augenblick Lust, die Einladung anzunehmen und
den gekränkten Jugendfreund in Verlegenheit zu bringen. Doch war er in allzu versöhnlicher Stimmung, als daß er es getan hätte.
Die Herren haben miteinander zu reden , sagte er dankend,
und ich
bleibe ohnehin nicht lang. Prosit, Herr Dreiß!
Prosit, Herr Lautenschlager , rief Dreiß herüber.
Ihre letzten Zeichnun-
gen haben uns allen einen Heidenspaß gemacht – nicht wahr, Herr Doktor?
Trefz gab keine Antwort. Er sog mißvergnügt an seinem Wein und spürte
zum erstenmal eine Ahnung davon, daß dieser unsympathische Julius Dreiß
ein Bundesgenosse des widerlichen Malers sei und daß beide, ohne es gerade
zu wissen und zu wollen, seine Feinde seien. Und in der Tat kam Dreiß mit
dem Maler zur Zeit recht häufig zusammen, und was der Notar heut abend
mit Dreiß geplaudert hatte, kam morgen schon zu Lautenschlagers Ohren.
Als der Sommer zu Ende ging, begann Dr. Trefz auf die Früchte seines freund-
schaftlichen Umganges mit Herrn Dreiß ungeduldig zu werden. Er lud den
Freund zu einem Sonntagsausflug ein und eröffnete ihm in der Goldenen Kro-
ne zu Krüglingen bei einer Flasche Affenthaler seine geheimen Wünsche.
Sehen Sie , sagte er eindringlich,
es wäre doch unverantwortlich, eine so
altehrwürdige Vereinigung wie Ihre Färberzunft einfach aussterben zu lassen, nur weil von den eigentlich zunftfähigen Familien keine Nachkommenschaft
mehr da ist. Sie sollten den einen und andern tüchtigen Mann zulassen, der
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Leben und Regsamkeit in die Zunft brächte, sich der Geschäfte annähme und
die Geselligkeit anregte. So bin ich zum Beispiel, wie Sie wissen, mit einem Teil der Verwaltung Ihres Zunftvermögens betraut und habe einen Einblick
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