Die Erzaehlungen
anderes. Gerechtigkeit war über ihnen. Jedes durfte einmal das Einzige scheinen, durfte Schicksal sein: ein Vogel, der in der Nacht geflogen kam, und nun, schwarz und ernst, auf meinem Lieblingsbaum saß; ein Sommerregen, der den Garten verwandelte, so daß alles Grün Dunkelheit und Glanz bekam; ein Buch, in dessen Blättern eine Blume lag. Gott weiß von wem, ein Kieselstein von fremder deutsamer Gestalt, das alles war so, als ob man viel mehr davon wüßte, als die Großen. Es schien, als könnte man glücklich werden und groß durch jedes Ding, aber auch, als könnte man an jedem Dinge sterben …«
Dann rasch mit anderer Stimme die Frage: »Es ist nicht zu spät, hast du nicht so gesagt?«
»Es ist nie zu spät, Harald.«
»Nie? Es kann doch einmal sein, wenn ich zum Beispiel … Sagt denn der Doktor auch wirklich die Wahrheit?«
»Du hörst es ja. Er spricht doch immer ganz laut und froh …«
Jetzt braucht Harald die Augen zur Zeugenschaft. Er sieht die Mutter fest an. »Und … er sagt dir nicht vor der Tür etwas anderes?«
Frau Malcorn war auf diese Frage vorbereitet. Ruhig hält sie Haralds Blick aus, mit einem leisen, verschwiegenen Vorwurf im Gesicht.
»Verzeih, Mama. Aber es könnte ja sein. Ich habe das oft gesehen früher in Häusern, wo Kranke waren. Ich hatte ja bisweilen Gelegenheit … Aber was wollen wir denn nur Marien sagen?«
Ganz unvermittelt sagt er das. »Was meinst du?« staunt Frau Malcorn.
»Nun, damit sie nicht mehr wiederkommt.«
»Meinst du das im Ernst?«
»Ja. Sie wird keinen Raum haben in der Zukunft, die ich mir denke. Das Leben ist eng, und ich muß so vieles darin unterbringen. Marie gehört in das andere, in das Eintagsleben, das ich vergessen habe. Ich will nicht daran erinnert sein. Sie aber mahnt mich an das Vergangene, selbst wenn sie nicht davon spricht, durch ihr bloßes Dasein. Sie muß fort!« Das klingt entschlossen und rücksichtslos, und Frau Malcorn kann es gar nicht gleich fassen. Eine Menge Fragen steigen in ihr auf, für die sie keinen Ausdruck findet, und Harald ist auch schon wieder mit seinen Worten voraus und froh, wie erleichtert durch diese Erledigung.
»Ich werde malen … oder vielleicht ein Buch schreiben: Kindheit und Kunst. Mir ist so manches eingefallen in diesen letzten Wochen; ich werde es dir diktieren. Du mußt nicht Angst haben, daß ich dich überanstrenge. Jeden Tag nur ein paar Zeilen, aber vollendet, schön … Einmal ersinn ich vielleicht ein Lied, dann mußt du es spielen. Und wenn es mir mal einfällt, ein Haus zu bauen, dann mußt du darin wohnen natürlich … das heißt: wir, denn wir werden nie voneinander gehen … Nicht wahr? … Sag! …«
Frau Malcorn lächelt zerstreut: »Du wirst heiraten …«
»Heiraten?«
»Nun doch einmal …«
»Glaubst du, daß ich Marien geheiratet hätte?«
Frau Malcorn nickt zustimmend.
»Ich habe nie daran gedacht.«
Ganz verwirrt lenkt Frau Malcorn ab: »Und was wolltest du malen? Das hast du nicht gesagt.«
»Malen? Wolken.«
»Du Träumer!«
»Frühlingswolken! Ein Wolkenkleid! Dein Kleid! … Dich!«
»Ich habe keine Wolkenkleider mehr.«
»Dann mußt du dir eines machen lassen …«
Ganz wehmütig lächelt die zarte Frau. »Nur ein altmodisches weißes Atlaskleid hab ich noch, vom letzten Ball her.«
»Ja, weiß « plant Harald. »Ich müßte dich in Weiß malen und mit Blumen. Mit irgend welchen heißen, roten Blumen. Mit Blumen, die es nirgends giebt. Mit solchen, roten … (wo hab ich sie doch gesehen? …) In deinem Läufer. Mit solchen Blumen. Hast du sie selbst erfunden? …«
»Durch Zufall « flüstert sie und wird ganz rot.
»Seltsam, o! … Blumen erfindest du!« Und Harald sieht sie forschend an, als ob ihr Gesicht in seiner scheuen, schamhaften Befangenheit ihn an etwas erinnern müßte. Dann unterbricht er sich kurz. »Es ist vielleicht kindisch, daß ich so spreche. Ich habe doch eigentlich nie versucht, zu malen. Aber soll ich es deshalb nie versuchen? Vielleicht bin ich wieder … ein Beginn … Mir ist, als hätten wir mal davon gesprochen, daß die Malcorns immer wieder Könige werden … Und die kein Volk haben, das sind vielleicht die wahren Könige …«
»Auch in der Kunst kannst du dich über ein Volk setzen …«
»Vielleicht. Vielleicht kann der Künstler sich aus allen Völkern sein Volk bilden, kann es sich erziehen … Aber ich will es nicht. Ich werde es nie wollen. Ich will nicht erziehen. Ich will nicht den Erfolg, keinen Erfolg auf
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