»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
täglichen Energiebedarfs aus. So viel kann sich kein Kind selbst beim schönsten Nestlé-Ferrero-Unilever-Cup wieder von den Hüften springen.
Für die sich epidemisch ausbreitende Fettleibigkeit in den USA sei fast ausschließlich erhöhte Kalorienzufuhr verantwortlich und eben nicht der Mangel an Bewegung, konstatierte eine Studie, die beim European Congress on Obesity im Mai 2009 in Amsterdam präsentiert wurde. Anhand aktueller Daten über das Bewegungsverhalten von 1399 Erwachsenen und 963 Kindern sowie anhand historischer Daten über das Körpergewicht von US -Amerikanern kamen die Forscher zu dem klaren Resultat, dass Kinder heute nicht weniger aktiv sind als in den siebziger Jahren und dass allein die erhöhte Energieaufnahme verantwortlich für ihr heute höheres Körpergewicht sei. Bei den Erwachsenen stellten die Forscher fest, dass sich deren Pensum an sportlichen Aktivitäten während der vergangenen 30 Jahre sogar erhöht hat und ihr Körpergewicht seither dennoch um durchschnittlich 8,6 Kilogramm stieg; würden sie so wenig Sport treiben wie früher, hätten sie im Schnitt sogar um 10,8 Kilogramm zugenommen. Um zum durchschnittlichen Körpergewicht während der siebziger Jahre zurückkehren zu können, müssten Kinder täglich etwa 350 Kalorien weniger einnehmen, das entspricht etwa einer Dose Cola und einer kleinen Portion Pommes frites; Erwachsene müssten pro Tag rund 500 Kalorien weniger zu sich nehmen.
Die Bedeutung von Bewegung sei wichtig, man solle keineswegs darauf verzichten, schreiben die Forscher. Doch das Potential für Gewichtsabnahme durch mehr Bewegung dürfe nicht überschätzt werden: Wollte man ähnliche Gewichtsreduktionen erreichen wie durch eine geringere Kalorienaufnahme, müssten Kinder zusätzlich zu ihrem normalen Bewegungspensum täglich etwa 150 Minuten laufen, Erwachsene 110 Minuten.
Die Aussagen solcher Studien werden von den Kalorienverkäufern regelmäßig bestritten. Stattdessen bemühen sie das Argument, Übergewichtige müssten eben mehr Sport treiben. Lieber unterstützen sie deshalb Sport-Ereignisse, bei denen sie ihr Image als Kinder-Kümmerer und sozial engagiertes Unternehmen polieren können. Publicity gibt es bei solchen Veranstaltungen oft gratis dazu, und schließlich sind sie eine ideale Plattform, um die eigene Marke in die Köpfe von Kindern und Jugendlichen zu bringen. Man muss solche Sponsorenschaft als das ansehen, was sie ist: Ein Instrument zur billigen Kundenwerbung und Kundenbindung.
Soll die Automobilindustrie, um die Klimakatastrophe abzuwenden, keine 400- PS -V12- CO 2 -Schleudern mehr bauen oder die Wiederaufforstung der Regenwälder betreiben? Sollen Gastwirte Alkohol an betrunkene Gäste ausschenken? Sollen Brauereien für maßvollen und verantwortlichen Bierkonsum werben oder Entziehungskliniken unterstützen?
Die Lebensmittelindustrie sollte sich nicht länger für Sport-Events und Frühstückstische in Schulen engagieren, sondern das tun, was sie viel besser könnte, wenn sie es nur wollte: gute, gesunde Nahrungsmittel herstellen und deren Inhaltsstoffe klar benennen, anstatt mit Wortklingelei zu beschönigen; und sie sollte sich gerade bei der Werbung für süße Kinder-Lebensmittel so ethisch verhalten, wie das in vielen Unternehmensbroschüren über nachhaltiges und verantwortungsvolles Handeln gerne als längst realisierte Tatsache dargestellt wird. Wenn die Branche noch ernst genommen werden will, muss sie aufhören, Kinder mit Sammelpunkten für Süßigkeiten zu noch mehr Süßigkeitenkonsum anzufixen. Dann muss sie aufhören, süße Kalorienhammer als »gesunde«, »leichte« und »kleine Mahlzeit für Zwischendurch« anzupreisen.
Schlimm genug, dass Kochen und Ernährungserziehung in Schulen praktisch keine Rolle spielen. Ebenso schlimm, dass Schulsport in vielen Schulen zum Stiefkind degeneriert ist. Katastrophal, dass ein Wettbewerb wie »Jugend trainiert für Olympia« heute am Tropf seines Sponsors Kellogg hängt, über den der Finanzvorstand der Deutschen Schulsportstiftung öffentlich einräumen muss: »Die Unterstützung von Kellogg ist sehr wichtig für uns. Ohne diese Verbundenheit würde der Wettbewerb heute nicht mehr existieren.« Das sind eklatante Versäumnisse der verantwortlichen Politiker. Am schlimmsten aber wäre es, Sportförderung und Ernährungserziehung schleichend an private, interessengeleitete Weltkonzerne abzutreten.
Wie Politikversagen und Lobbyismus zum Schaden der Verbraucher
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