»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
es nur noch ganz wenige, die darauf verzichten, ihre hehren Absichten und guten Taten in Nachhaltigkeits- und Sozialberichten auszubreiten. Den verschleiernden Charakter all des Geredes von »gesellschaftlicher Verantwortung«, »Nachhaltigkeit« und »sozialem Engagement« kann man am globalen Problem des Übergewichts und der Fettleibigkeit bestens aufzeigen. Denn die unzähligen Bewegungs-Initiativen und Ratgeber-Materialien, die es auch außerhalb von peb haufenweise gibt, haben keinen anderen Sinn, als von der originären Verantwortung der Lebensmittelbranche für das weltweite Übergewicht abzulenken.
Die Manager in den Firmenzentralen bedienen sich dabei in trauter Einigkeit eines einfachen Tricks: Sie stellen Übergewicht und Fettleibigkeit vor allem als ein individuelles Problem mangelnder Bewegung dar: Jeder, so die gebetsmühlenartig verbreitete Botschaft, ist am Ende selbst schuld, der nicht für ausreichend körperliche Aktivität in seinem Alltag sorgt. Dabei ist der viel zu hohe Kalorien-Input der Knackpunkt, nicht so sehr ihre Verbrennung durch körperliche Aktivität. Denn die ungeheuren Mengen, die viele gedankenlos und uninformiert täglich an Kalorien in sich hineinstopfen, können sie unmöglich durch Bewegung wieder abbauen. Doch gegen die gebotene Bändigung der übermäßigen Kalorienzufuhr steht der Zwang zum Wachstum.
Wirtschaftliches Wachstum in der Lebensmittelbranche bedeutet aber, dass immer mehr Kinder und Erwachsene, Dünne und Dicke, immer mehr Schokolade und Fertiggerichte essen und immer mehr Ice-Tees und Softdrinks konsumieren müssen, was besonders gut funktioniert, wenn sie sehr fett- und zuckerhaltig sind. Gut fürs Wachstum der Lebensmittelbranche ist, wenn immer mehr Menschen immer maßloser essen, unter anderem deshalb, weil sie auf den Verpackungen unentschlüsselbare Nährwert-Angaben finden. Wachstum ist wertfrei, es kennt kein »dick« oder »dünn«, es kennt nur Zahlen. Wachstum hat kein Problem mit Übergewicht, im Gegenteil: Wachstum nährt sich am Übergewicht. »Unser Ziel ist Wachstum«, schreibt Mars Deutschland in einer Broschüre, auf deren Titel die Erdkugel abgebildet ist und in der es nur so wimmelt von Bekenntnissen zu »nachhaltigem Wirtschaften« und »gesellschaftlicher Verantwortung«. Doch wenn Mars weiter wachsen will, muss die Firma – Verantwortung hin, Nachhaltigkeit her – ein vitales Interesse daran haben, jedes Jahr eben noch mehr »Bountys«, »Balistos« und »Wrigley’s«-Kaugummis zu verkaufen als im Jahr zuvor. Für Stagnations- oder gar Schrumpfungsszenarien ist noch kein Lebensmittelmanager von seinem Arbeitgeber befördert worden.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Unternehmen ihre Interessen wahrnehmen. So formuliert die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker e.V. auf der Website der »Plattform Ernährung und Bewegung« unmissverständlich gleich im allerersten Satz der Selbstdarstellung: »Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen der deutschen Zuckerwirtschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.« Damit ist aber auch klar, dass dem Verband (»Zucker – ein Stück Lebensfreude«) der Zuckerabsatz seiner Mitgliedsunternehmen wichtiger ist als das Schicksal eines übergewichtigen 12-Jährigen mit Frühdiabetes. Dieser grundlegende Interessengegensatz zwischen wachstumsfixierter Lebensmittelbranche und den Gesundheitsanforderungen einer Gesellschaft wird von dem permanenten Verantwortungsgehabe der Unternehmen und ihrer Verbände jedoch zugedeckt. Und das ist auch das wahre Motiv aller Beweg-Dich-Mehr-Initiativen der Branche: Sie sollen davon ablenken, dass die Menschen deshalb zu dick und in der Folge krank sind, weil sie zu viel Fettes und zu viel Süßes verzehren. Am Ende heißt es: Selbst schuld, wenn du zu wenig Sport treibst. Während die Unternehmen ungerührt überzuckerte Joghurts und Getränke, fette »Zwischenmahlzeiten« für Kinder und viel zu süße Frühstückscerealien in die Regale der Händler stellen, wehren sich ihre Verbände dagegen, dem Verbraucher durch eine einfache, farbige Kennzeichnung auf der Verpackung Orientierung über die enthaltenen Nährwerte zu geben; und gleichzeitig wiegen sie besorgt die Köpfe über die Verfettung der Gesellschaft und lassen ihre Marketingabteilungen Hüpfburgen aufblasen. Zynischerweise nennen sie das »Unternehmensverantwortung«, Corporate Social Responsibility.
Eine der prominentesten Kampagnen dieser
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