»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
über unsere Lebensmittelprodukte nicht geben. Wie himmelweit die Meinungen der Nahrungsmittelindustrie über das, was transparente Information ist, von Verbraucherforderungen nach mehr Transparenz abweichen, dokumentiert die Äußerung von Professor Dr. Wilhelm Hufen, Mitherausgeber der »Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht« ( ZLR ) und führender Lebensmittelrechtsexperte: »Während neue Informationspflichten auferlegt werden, wird die Werbung als klassisches Mittel freiwilliger Information und Kommunikation weiter eingeschränkt.« Man kann sich schwerlich eine noch verächtlichere Meinung über die Wünsche der Verbraucher vorstellen: Ihr Informationsbegehren damit abzubürsten, sie würden durch Werbung informiert, beschreibt ungewollt die Sachlage; denn was uns Verbrauchern als Produktinformation aufgetischt wird, ist überwiegend das Phantasieprodukt von Werbeagenturen.
Angesichts dieser Intransparenz müssen es schon Entscheidungen der Politik sein, die die Industrie zu mehr Transparenz zwingen. Dazu jedoch muss sich der Gesetzgeber entscheiden: Vertritt er die Interessen der Verbraucher – oder die der Wirtschaftsbeteiligten? Diese sind gegenläufig, so dass jeder Kompromiss nur ein fauler sein kann, mindestens für eine der beiden Seiten.
Längst überfällig wäre es zum Beispiel, die Informationsrechte der Verbraucher sowohl bei den Behörden als auch bei den Firmen selbst effektiver zu machen. Denn das seit 2008 geltende Verbraucherinformationsgesetz ( VIG ) versagt in der Praxis weitgehend. Fragen Bürger bei Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden zum Beispiel nach den Namen von Betrieben, die bei amtlichen Kontrollen aufgefallen sind oder zu Themen wie Gammelfleisch oder Schlachtabfälle, bekommen sie meistens überhaupt keine Auskunft oder werden für die Inanspruchnahme ihres Rechts mit Gebühren bis zu 1000 Euro abkassiert; und die Namen der »schwarzen Schafe« erfahren sie selbst dann nicht, wenn es um gesundheitsschädliche oder gesundheitsgefährdende Lebensmittel geht. Verbraucher werden als Bittsteller behandelt und hingehalten, wo Behörden und Firmen eine Bringschuld haben. Amtliche Mess-, Analyse- und Kontrollergebnisse für Lebensmittel sowie der Gehalt bestimmter Substanzen in Lebensmitteln dürfen nicht länger als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder als schutzwürdige personenbezogene Daten gelten. Nicht derjenige soll eine Begründung liefern müssen, der verbraucher- und gesundheitsrelevante Daten veröffentlichen will, sondern derjenige, der sie geheim halten möchte. Doch nicht nur die Informationsrechte der Bürger sind mangelhaft, sondern auch die Informationspflichten der Behörden. Dänemark macht es vor mit seinem Smiley-System (vgl. Kapitel 7). In Deutschland jedoch sammeln die Kontrolleure Informationen, die Behörden halten Jahr für Jahr in ihren Statistiken fest, dass sie wieder fast jeden vierten Betrieb beanstanden mussten – und lassen die Öffentlichkeit im Unklaren darüber, um welche Betriebe es sich dabei handelt. Aus Angst, einem Gastwirt oder Händler wirtschaftlich zu schaden, und wenn die auch noch so unsauber arbeiten oder ihren Kunden billige Imitatlebensmittel zu teuren Preisen vorsetzen.
Es wird Zeit, dass sich die Politik emanzipiert, vom Zugriff der Essensfälscher löst und in demokratischer Selbstverständlichkeit und selbstbewusst der Industrie ihre Grenzen aufzeigt. Die Möglichkeiten der Konsumenten, sich durch ihre Kaufentscheidungen gegen die Macht der Konzerne zu wehren, sind begrenzt: Denn mangels Transparenz ist der Verbraucher oft gar nicht mehr in der Lage, Produkte zu beurteilen und dadurch den Markt zu steuern. Die Politik muss den Essensfälschern vorschreiben, was zulässig ist und was nicht. Dabei sind die notwendigen Interventionen in den Markt von »Big Food« so wenig marktfeindlich, wie sie es bei »Big Tobacco« waren. Allerdings geht es um eine Verschiebung der Gewichte: Das Recht der Verbraucher auf Information und Transparenz muss endlich mehr Gewicht erhalten als die Gewinnerwartungen der Aktionäre. Damit wir in Zukunft verschont bleiben von so hilflosen Alibi-Initiativen wie dem »Nationalen Aktionsplan« gegen Fehlernährung, Bewegungsmangel und Übergewicht der Bundesregierung von 2007. Darin wird zwar von »einer der größten gesundheits- und ernährungspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte« gesprochen, doch zur Lösung werden wieder nur freiwillige Maßnahmen der Wirtschaft in
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