Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
verfüttert werden dürfen. In der Europäischen Union müssen wegen des Verfütterungsverbots insgesamt fünf Millionen Tonnen Getreide zusätzlich angebaut werden – das entspricht der Ernte von ganz Österreich.
Jörn Franck sieht das leidenschaftslos: »Wir leben in einem Überfluss. Das ist einfach so. Wenn wir als Kunden in Supermärkte reingehen, dann wollen wir nicht nur ein Produkt im Regal haben, dann wollen wir eine Auswahl haben, und das heißt, das bezahle ich als Kunde im Supermarkt alles mit, weil das ja nicht alles verkauft wird.«
In seinem Biogas-Kraftwerk in Hamburg landen Reste von Restaurants ebenso wie Lebensmittel direkt aus der Fabrik oder aus Supermärkten. Jörn Franck führt uns durch ein Meer von Tonnen und Containern: »11. 4. 2012. Ist noch ein bisschen hin, über anderthalb Jahre. Vielleicht ist das nicht so richtig gut gelaufen, und wenn dann nur noch zwei, drei Beutel im Regal stehen, wird das natürlich rausgenommen.«
Der feine Anzug verrät, dass der Kraftwerksdirektor nicht jeden Tag hier zwischen den Tonnen zu tun hat. Er öffnet einen Deckel nach dem anderen, Mücken schwirren um Hühnchen- und Fleischreste, einiges sieht eklig aus und riecht auch so, anderes ist noch wie frisch. Zum Beispiel eine ganze Abfalltonne voller Lachsfilets. Vollkommen sauber sind auch die breiten Kunststoffwannen, die er von den Supermärkten bekommt: »Früher wurden diese Lebensmittel noch verfüttert. Das ist seit Ende 2006 verboten. Deswegen müssen die jetzt gut entsorgt werden, und da kommen wir ins Spiel. Wir machen aus den organischen Stoffen Energie.«
Auf dem Hof stehen Paletten mit billigem Amselfelder Wein: »Alkohol ist für uns sehr interessant, aber auch Zuckerhaltiges wie so eine schöne Coca-Cola oder dieser Cider«, schmunzelt Jörn Franck, »da freuen sich die Bakterien drauf, und wenn die Bakterien sich wohlfühlen, freut sich der Anlagenbetreiber.«
Arbeiter rollen derweil die Tonnen auf eine Rampe und kippen ihren Inhalt in einen riesigen Trog. Je nach Inhalt platscht oder scheppert es – Plastik, Glas, alles wird vermischt. Über ein Schneckengewinde wird der Brei in ein System von Röhren hineingedrückt.
Erste Stufe: Die Verpackungen werden entfernt. Ein rotierender Metallklöppel zerkleinert die Feststoffe. Der Kessel macht einen Höllenlärm, hier ist keine Unterhaltung mehr möglich. Die Plastik- und Glasreste werden mit einer Zentrifuge aussortiert und abgesondert.
»Dann geht’s in diesen riesengroßen Tank, da sind Bakterien drin, die essen die organischen Leckereien auf und produzieren daraus Gas. Das verbrennen wir und produzieren damit Strom und Fernwärme.« Er grinst und fährt fort: »Wir beheizen sogar die Duschen und die Rasenheizung des Volksparkstadions und können so die Bundesligaergebnisse beeinflussen.«
Für Joachim von Braun ist das eine »reglementierte Verschwendung«. Der Entwicklungsforscher meint: »Vorschriften, dass unverkaufte Lebensmittel nicht an Schweine verfüttert werden dürfen, kann sich eine Neunmilliardenwelt mit knappem Land und Wasser nicht mehr leisten.«
An vielen Orten wird nach Lösungsansätzen gesucht, die Überproduktion zu verwerten. Manche sind allerdings äußerst umstritten. So wie die Idee von Roland Schüren. Der Bäckermeister aus Hilden bei Düsseldorf beobachtet seit Jahrzehnten, wie der Abfallberg immer größer wird: »In den 1970er-Jahren gab es vielleicht 10 Brot- und 5 Brötchensorten. Heute haben wir 60 Brot- und ungefähr 30 Brötchensorten. Diese Auswahl wird vom Verbraucher erwartet«, so der Bäcker. »Aber das macht es für uns unglaublich schwierig, die Mengen zu kalkulieren.«
Mit 14 Filialen ist die Bäckerei Schüren kein Kleinbetrieb mehr, aber in der Backstube gibt es noch viel Handarbeit: Ein wenig Mehl auf die Hände, dann formt einer der Bäcker den Vollkornteig zu großen Laiben. Derweil legen andere Mitarbeiter den Brezelteig mit geschicktem Schwung auf das Backblech.
Der Bäckermeister weiß, dass ein Teil seiner Produktion für die Tonne bestimmt ist: »Es gibt wirklich Bäckereien, die schmeißen 20 Prozent ihrer Ware weg. Das ist meines Erachtens viel zu hoch. Es ist ja nicht nur der Warenwert, sondern auch die Arbeit, die man reingesteckt hat, und das tut einem schon weh. Auch betriebswirtschaftlich.«
Aber warum vernichten die Bäcker dann so viel? Auch hier ist der Überschuss bereits von vornherein einkalkuliert: Die Bäckereien produzieren 10 bis 20 Prozent zu viel, um
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