Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
konkurrenzfähig zu bleiben. Roland Schüren erklärt es so: »Der Verbraucher erwartet ein volles Brotregal bis Ladenschluss. Wenn das gewünschte Brot nicht mehr da ist, müssen sich unsere Verkäuferinnen harsche Kritik anhören.«
Natürlich hat Bäcker Schüren seine Gegenstrategien, aber: »Die Kunden sind nicht immer so flexibel und nehmen das Alternativangebot der Verkäuferin an. Viele drehen sich um und gehen weg, zu einem anderen Bäcker.« Vor allem die Supermärkte betrachten verlorene Kunden als sehr viel größeres Problem als das Wegwerfen von Lebensmitteln.
Der immense Konkurrenzdruck führt zu rigorosen Strategien, wie Roland Schüren erfahren musste: »Wir hatten mal einen Backshop in einem Supermarkt. Daher weiß ich, wie sehr die Supermarktbetreiber darauf Wert legen, dass bis abends das Brotregal voll ist. Es gibt in den Mietverträgen Klauseln wie ›Volles Brotregal bis 18.30 Uhr‹. Ich habe auch selbst schon böse Briefe mit Beweisfotos bekommen, wenn das Brotregal mal zu einer gewissen Uhrzeit schon relativ gerupft aussah, unter Androhung der Kündigung des Mietvertrages.«
Bäcker Schüren schafft es, dass er heute nur noch knapp zehn Prozent seiner Tagesproduktion wegwerfen muss. Zum einen, weil er keine Supermärkte mehr beliefert. Zum anderen, weil er seinen Kunden das Brot vom Vortag verbilligt anbietet. Dennoch bleibt viel übrig: 100 Tonnen im Monat.
Jeden Morgen, wenn das frische Brot an die Filialen geliefert wird, bringt der Lieferwagen die Kisten mit den Broten zurück, die nicht verkauft wurden. Einen Teil spendet er an die Tafel, die es an Bedürftige verteilt. Doch 100 Tonnen ist zu viel, der Brotbedarf ist im Tafel-Laden mehr als gedeckt.
Der Rest landet in einem großen Container, und der wird von Thorsten Budde abgeholt: »Wir holen das aus ganz Deutschland ab. Sogar aus dem Ausland. Bäckereien, Schokoladenfabriken, Keksfabriken, Cornflakes, was man sich so vorstellen kann.« Der Speditionsfahrer bringt die Reste in eine große Tierfutterfabrik. All das, was noch nicht vom Menschen berührt wurde und kein Fleisch enthält, darf nach wie vor zu Tierfutter gemacht werden.
Doch Geld bekommt der Bäcker auch hierfür nicht –, denn anders als die Biogasanlagen bekommt der Tierfutterhersteller keine Subventionen. Die Situation ließ dem umtriebigen Bäcker keine Ruhe, bis er mehr oder minder zufällig auf eine Lösung kam: »Unser Energieberater und ich saßen im Besprechungsraum und schauten nach draußen. Der Futtermittelhersteller holte gerade den Container ab. Der Energieberater fragte mich, wie viel Altbrot in dem Container sei. 4,5 Tonnen, sagte ich. ›Dann verschenken Sie hier gerade den Heizwert von 900 Litern Heizöl.‹«
Roland Schüren war ohnehin auf der Suche nach Möglichkeiten, den Energiebedarf seiner Bäckerei zu senken. Doch Brot verbrennen – das hatte zuvor noch kein anderer Bäcker gewagt. Warum eigentlich nicht: »Brot hat nahezu den gleichen Heizwert wie Holz, von daher brennt es sehr gut. Wir mischen das Brot mit Holzpellets und kommen damit auf die Temperaturen, die wir für unsere Backöfen brauchen.«
Aber Brot verbrennen – ist das nicht obszön? Den Bäcker hat diese Frage auch umgetrieben, er hat sie sogar mit dem evangelischen Pfarrer seiner Gemeinde erörtert. Und ist zum Schluss gekommen: Eine energetische Nutzung ist besser als gar keine.
»Ich kenne Bäckereien, die haben doppelt so viel über wie wir. Da liegt ein riesiges Energiepotenzial brach. Wenn alle Bäckereien in Deutschland es so ähnlich machen würden wie wir, dann könnte man sich ein Atomkraftwerk sparen«, behauptet Roland Schüren.
Die Zahl ist gar nicht mal so weit hergeholt, denn jedes Jahr werden schätzungsweise 500 000 Tonnen Brot in Deutschland weggeworfen. Von dieser Menge könnte Niedersachsen versorgt werden, das ganze Jahr über. »Brot verbrennen klingt fragwürdig«, das ist auch dem Bäcker klar, »aber solange der Wettbewerb so hart ist und die Kunden so anspruchsvoll, wird es diese Reste geben.«
Mit seinem ebenso mutigen wie unpopulären Schritt führt uns Roland Schüren das Dilemma vor Augen, in dem sich die Lebensmittelhändler heute befinden. Dafür musste er sich viel Kritik anhören. In seiner Kundenzeitschrift spricht der engagierte Bäcker deshalb offen über seine Müllbrote: »Zunächst gebe ich Reste an die Tafel weiter, dann an einen Tierfutterhersteller, und nur das, was dann noch übrig bleibt, wird verbrannt.« Seine Kunden
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