Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
Konsumgesellschaft: »Die Händler werfen so viel weg, weil sie mehr Gewinn machen können, wenn sie möglichst frische Waren ins Regal stellen.« Die Tonne ist voll, er trägt sie in die Halle und leert sie in einen riesigen Trog, der bereits fast gefüllt ist mit Essensresten. Auffallend ist vor allem der große Anteil an Gemüse. Eigentlich sieht es noch knackig aus.
»Manchmal denke ich: Uns Japanern geht es zu gut«, sinniert der Arbeiter. Ich frage, ob er sich schon mal überlegt hat, etwas nach Hause mitzunehmen. Sein Lachen ist laut und tief: »Ich mache diesen Job den ganzen Tag. Da kommt man nicht auf solche Gedanken.« Aber dass die Japaner die Weltmeister im Recycling sind, darauf ist er stolz.
Das System des Lebensmittelrecyclings ist weltweit einzigartig und existiert in dieser Form sonst nur noch in Südkorea und Taiwan. »Das Hauptziel ist es, die Lebensmittelabfälle zu Tierfutter zu verarbeiten«, erklärt Professor Kohei Watanabe von der Universität Teikyo. »In Japan haben wir das Food Recycling in den letzten zehn Jahren stark ausgebaut, während es in Europa verboten wurde, aus Angst vor Seuchen.«
Der junge Müllforscher sieht dazu keine Alternative: »Japan ist dicht besiedelt und hat wenig Ackerflächen. Deshalb importieren wir heute den Großteil unseres Tierfutters.« Die Folgen sind verheerend: »Dafür werden leider viele Regenwälder abgeholzt. Außerdem steigen durch den Import des Getreides die Weltmarktpreise. Angesichts des Hungers in der Welt ist das nicht wünschenswert.«
Er duckt sich weg, als Tropfen vom Fließband herüberspritzen. Dort holt ein Arbeiter mit einem Wasserstrahlgebläse die Reste aus den Müllcontainern. Wieder unglaubliche Mengen an Gemüse, und wieder sieht es eigentlich noch frisch aus: keine schlaffen Salatblätter, beim Aufprall federn sie noch nach.
Auf dem Fließband sortieren Arbeiter den Müll. Kaoru Masuno erklärt uns, warum: »Hier ist noch Müll drin. Ich meine damit Dinge, die die Schweine nicht fressen können. Sie können sich nicht vorstellen, was da alles drin ist: Löffel, Messer, sogar Bambusspieße. Und viel Plastik.«
Inzwischen gibt es Hunderte solcher Recyclingfabriken in Japan, Südkorea und Taiwan. Die Regierungen der drei ostasiatischen Länder sind sich sicher, dabei das Problem der Tierseuchen im Griff zu haben. Dr. Kimiko Konno vom Veterinäramt der Stadt Yokohama: »Wir erhitzen die Speisereste auf mindestens 70 Grad, um alle Bakterien abzutöten. So ist es sicher für die Schweine, aber auch für die Menschen, die später das Fleisch der Schweine essen.«
Aber was ist mit BSE ? Europa hat große Angst vor der Rinderseuche. Um die Prionen zu vernichten, wären viel höhere Temperaturen nötig. »Eine potenzielle Ausbreitung von BSE können wir verhindern, indem wir das Futter für Rinder und Schweine getrennt herstellen«, so die Tierärztin. »Rinder dürfen einfach keine Fleischreste bekommen.«
Das klingt logisch. Rinder sind Pflanzenfresser, während die Schweine ebenso wie Hühner von Natur aus Allesfresser sind. Seit sie vor Jahrtausenden domestiziert wurden, werden sie von Speiseresten ernährt. Die Tierärztin führt uns zu einem Schweinemäster. Der Hof von Kiyoshi Yokoyama liegt am Stadtrand von Yokohama. Kein Biobauer, aber er ist stolz darauf, dass sich seine Sauen nicht ihre Schwänze abbeißen, weil er ihnen in seinen Ställen mehr Platz lässt als üblich.
Weil es in der EU verboten ist, Speisereste und Supermarktabfälle als Tierfutter zu nutzen, müssen fünf Millionen Tonnen Getreide zusätzlich angebaut werden. Das entspricht der Ernte von ganz Österreich.
Das Tierfutter aus der Recyclingfabrik gibt es in zwei Formen: als Flüssigbrei oder als Trockenpulver. Für seine Ferkel mischt der Bauer es mit Milchpulver. Den Inhalt von zwei großen Säcken vermengt er mit seinen breiten Händen auf einer Schubkarre. Dann schiebt er die Karre über schmale Bretter in den Ferkelstall: »Um ein leckeres Fleisch zu bekommen, mischen wir das Recyclingfutter nach einem speziellen Rezept.«
Neugierig schnüffeln die Ferkel an den Stiefeln des Bauern. »Lebensmittelreste sind wertvolle Ressourcen. Japan ist arm an natürlichen Ressourcen. Deshalb sollten wir die Abfälle nicht verschwenden, und das, was Schweine fressen können, auch zu Futter verarbeiten.«
Es geht aber auch um Geld: »Importiertes Getreide ist teuer. Wenn wir das Recyclingfutter nicht nutzen, können wir mit dem Importfleisch nicht konkurrieren.«
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