Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
Gemeinsam mit Bauern und Restaurants hat die Stadt Yokohama das Label »Hama-Pork« entwickelt, mit dem das Schweinefleisch vermarktet wird: »Wir werben damit, dass wir in Yokohama einen kompletten Kreislauf haben.« Das Logo mit dem stilisierten Schweinekopf kennt inzwischen jeder in der Stadt.
Einer der ersten, der sich dem Recycling-Loop anschloss, war Masahiro Koyama. Der Koch leitet eines der feinsten Chinarestaurants von Yokohama. Er ist nicht nur Abnehmer, sondern auch Lieferant: »Aus den Küchenresten, die wir hier täglich produzieren, wird gutes Futter gemacht.«
Es geht eng zu in der Küche. Wenn das Fleisch im Wok angebraten wird, dann schlagen die Flammen hoch aus dem Herd. Die Köche müssen schnell sein, geschickt schwenken sie den Wok so, dass der Inhalt gewendet wird. »Am Ende kommt gutes Fleisch zu uns zurück«, erzählt der Koch stolz. »Ich habe nicht das Gefühl, dass die Tiere Müll gefressen haben. Wenn man Müll sagt, dann klingt das so negativ. Das Fleisch hat eine sehr gute Qualität, das ist ein tolles Gefühl.«
Die Kundschaft weiß es zu schätzen. Mittags kommen viele Geschäftsleute hierher, weil sie den spektakulären Blick aus dem 36. Stock auf den Hafen schätzen. Was sie auf ihren Tellern übrig lassen, geht nicht verloren, sondern zurück in den Kreislauf. In der Küche gibt es dafür zwei Tonnen: eine für Fleisch und eine für den Rest.
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Warum der italienische Müll noch besser schmeckt
Turin im September 2010. Am frühen Abend ist die Altstadt voller Leben. Mitten in dem Gewusel eine auffallend lange Menschenschlange. Sie führt uns zur historischen Piazza Carignano. Geduldig warten 1000 Menschen auf Einlass, um an der »cena collettiva« teilzunehmen: einer öffentlichen Speisung mit Lebensmitteln, die für die Vernichtung bestimmt waren.
Der Organisator Andrea Segrè erklärt das Dreigängemenü: »Der erste Gang ist eine Tomatencreme. Die Bauern konnten die Tomaten nicht verkaufen, weil sie größer als die Norm waren. Also haben wir sie genommen. Dazu etwas zerbröseltes Altbrot, das gibt eine leckere Soße.« In seinem »Schwarzbuch zur Lebensmittelverschwendung in Italien« rechnet er seinen Landsleuten vor, dass auf den Feldern jedes Jahr 17 Millionen Tonnen Getreide, Obst und Gemüse ungeerntet verrotten.
»Man könnte mit dieser Menge den Bedarf von 48 Millionen Menschen decken, das sind mehr als drei Viertel von Italiens Bevölkerung«, erklärt Andrea Segrè. Dann geht es weiter in der Speisenfolge: »Zweiter Gang: Paprika süß-sauer, geerntet ganz in der Nähe hier in der Region von Turin. Ein traditionelles Rezept, ein bisschen salzig und ein bisschen süß, sehr lecker. Auch hier Überschussware. Und als Nachtisch ein Pudding nach Großmutterart, auch aus Resten zubereitet. Keine Speisereste! Das hat noch keiner auf dem Teller gehabt. Es sind einfach Produkte, die keiner kaufen wollte.«
Eine italienische Protestvariante, sehr sinnlich. Das ungewöhnliche Mahl regt die Menschen zur Diskussion an. Es wird langsam dunkel. Scheinwerfer beleuchten die historischen Gebäude auf dem Platz, allen voran den Palazzo Carignano, ehemaliger Königspalast und vor allem Sitz des ersten italienischen Parlaments.
Andrea Segrè hofft, dass die 1000 Teilnehmer die Idee mit nach Hause nehmen, das Essen gemeinsam zu teilen und zu ehren. Eine urchristliche Idee, die auf Jesus zurückgeht: Die Speisung der 5000 am See Genezareth. Haupt-Zugpferd der Veranstaltung sind Slow Food und sein inzwischen 62 Jahre alter Gründer Carlo Petrini.
Beim anschließenden Vortrag im historischen Teatro Carignano vibriert der Saal, Petrinis Charisma ist legendär. Slow Food wurde vor 20 Jahren gegründet, aus dem Qualitätslabel für Feinschmecker ist unter seiner Führung eine Volksbewegung gegen die Industrialisierung des Essens geworden.
»Vor allem in den wohlhabenden Ländern ist die Wertschätzung für Lebensmittel immer geringer geworden«, klagt Petrini. »Essen ist zu einer gewöhnlichen Ware geworden. Der Verlust des Wertes geht einher mit einem wachsenden Unwissen, wie Nahrungsmittel produziert und verarbeitet werden, und einem allgemeinen Verfall des Preises. Essen hat für viele Menschen keine besondere Bedeutung mehr. Die logische Folge: Was keinen Wert mehr hat, wird weggeworfen. Eine katastrophale Entwicklung.«
»Unsere Kühlschränke sind oft regelrechte Familiengräber. Darin sterben so viele Nahrungsmittel, das kann man sich gar nicht vorstellen.
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