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Die Essenz der Lehre Buddhas

Die Essenz der Lehre Buddhas

Titel: Die Essenz der Lehre Buddhas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalai Lama
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die Frage, ob ein Stuhl tatsächlich von sich aus existiert. Für die Autonomisten muss das so sein, weil der Stuhl sonst gar nicht existieren könnte. Wie könnte es den Stuhl geben, wenn er nicht etwas von Stuhlsein hätte? Wäre das nicht absurd, ein stuhlloser Stuhl? Dem halten die Schlussfolgerer entgegen, die im Stuhl selbst liegende Stuhlheit, wenn es sie denn gäbe, müsste erkennbar sein und würde sich doch sicher dem forschenden Bewusstsein eines gänzlich auf diese Suche ausgerichteten Edlen erschließen. Tatsächlich entdeckt das forschende Bewusstsein solch eines Yogis jedoch, dass keine Stuhlheit vorhanden ist! Wie also, fragen sie, könnte man etwas für existent halten, das sich in der tiefsten unmittelbaren Erfahrung als nicht existent erweist? Die Vertreter dieser Richtung gehen davon aus, dass unsere alltägliche Wahrnehmung der Phänomene zwangsläufig falsch ist, weil die Dinge uns in dieser Wahrnehmung als in sich selbst existierend erscheinen.
    Jetzt könnte man annehmen, die vom Meditierenden erfahrene Leerheit müsse selbst etwas von objektivem
Sein haben, aber diese Leerheit besteht ja lediglich in der Unauffindbarkeit einer im Stuhl selbst liegenden Realität. Die Leerheit besitzt folglich ebenfalls keine auffindbare Realität. Der forschenden Betrachtung eines Yogis würde sie sich als leer von in ihr selbst liegendem Sein erweisen. Deshalb unterscheiden wir zwischen dem, was sich dieser höchsten Sicht der Dinge offenbart, und dem, was der höchsten Analyse standhält. Leerheit wird gesehen, aber nichts widersteht der letztgültigen Analyse, nicht einmal die Leerheit.
    Wie existieren die Dinge?
    Wenn die Dinge nicht so sind, wie wir sie wahrnehmen, wenn sie also nicht von objektiv feststellbarer Realität sind, wie sollen wir ihr Dasein dann verstehen? Wie können Dinge vorhanden sein? Wie können sie tun, was sie tun? Wenn wir behaupten, ein Stuhl existiere nicht in sich selbst, wie erklären wir dann, dass er als Stuhl fungieren kann, dass wir auf ihm sitzen können?
    Alle Buddhisten gehen in ihrem Alltag davon aus, dass die Dinge vorhanden sind. Niemand bestreitet, dass da ein Stuhl steht, auf den man sich setzen kann. Die Autonomisten des Mittleren Weges gehen davon aus, dass die Dinge wirklich und ihrer Natur nach existieren. Bezeichnungen und Namen, sagen sie, müssen auf Dinge
Bezug nehmen, die im handgreiflichen Sinne real sind. Wenn wir etwas ansprechen, das wir als Rose bezeichnen, muss etwas da sein, worauf wir deuten können, das wirklich eine Rose ist. Wenn etwas einen menschlichen Körper und einen menschlichen Geist hat, muss es ein Mensch sein. Für Autonomisten muss das Bezugsobjekt für die Bezeichnung »Mensch« irgendwie in dem vorhanden sein, was wir als Anteile eines Menschen sehen. Manche Autonomisten des Mittleren Weges sagen, das eigentliche Bezugsobjekt der Bezeichnung »Mensch« sei das geistige Kontinuum eines Menschen, während andere ein gesondertes Bewusstsein annehmen, das sie als »Geist-Basis von allem« bezeichnen.
    Die Schlussfolgerer des Mittleren Weges weisen jegliche Vorstellung von innewohnendem Sein zurück und sagen folglich, es sei zwischen den geistigen und körperlichen Anteilen eines Menschen ebenso wenig ein Mensch zu finden wie ein Stuhl in seinen Teilen oder eine Rose in ihren Blütenblättern. Auch jeder Teil eines Menschen, den man dieser Betrachtung unterzieht, wird sich als zwischen seinen Bestandteilen nicht auffindbar erweisen. Mein aus Knochen, Muskeln, Haut und so weiter bestehender Arm ist nicht zusätzlich zu seinen Bestandteilen vorhanden. »Arm« ist lediglich ein Sammelname für die Bestandteile. Mein geistiges Kontinuum, eine Abfolge von Bewusstseinsaugenblicken, ist ebenfalls einfach eine Sammelbezeichnung für all diese Bewusstseinsaugenblicke. Jeder einzelne der körperlichen und geistigen
Bestandteile, aus denen ich gefügt bin, ist ebenfalls leer: ohne identifizierbare Existenz. Deshalb sagen die Schlussfolgerer, dass nichts in sich selbst existieren kann, sei es im landläufigen oder im höchsten Sinne.
    Wenn wir erstmals sehen , dass die Dinge kein objektives oder innewohnendes Sein haben, sind wir verständlicherweise zunächst überrascht. Jetzt zeigt sich, dass die Dinge in Wirklichkeit ganz anders sind, als sie uns in unserem gewohnten Umgang mit ihnen erscheinen. Wenn sich jedoch unser Verständnis vertieft hat und wir uns an die richtige Anschauung gewöhnen, werden wir uns schließlich sagen: »Natürlich, die

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