Die Eule - Niederrhein-Krimi
prangte darauf. Sie schob den einzigen Kinderwagen, den Karin weit und breit entdecken konnte, durch die Menge. Hier auf der Hauptstraße war ein Großteil des Angebots auf erwachsene, pilgernde Kunden ausgerichtet. An der Kerzenkapelle loderten hunderte cremeweißer, chamoistriefender Kerzen auf Metallgestellen über eckigen Sammelbecken, die tropfendes Wachs aufnahmen. Karin Krafft konnte nicht über ihren Schatten springen, verschob ihren beruflichen Auftrag, um schnell drei Kerzen zu kaufen und auf gerade frei gewordene Dornen zu setzen. Ein Dank für Erlebtes, eine Bitte für die Gegenwart, für die Zukunft einen Wunsch. Ihre Mutter Johanna hatte ihr diesen Brauch mitgegeben, Karin konnte an keinem Ort vorbeigehen, an dem Kerzen als Symbole angezündet standen, ohne sich an dem Lichtermeer zu beteiligen. Besser als einzelne Sätze zwanzig Mal zu wiederholen, dachte sie. Lichter zu entzünden ist auch eine Art von kollektivem Gebet.
Cornelia Garowske kehrte zurück in die Gedanken der Hauptkommissarin, als sie den Kapellenplatz überquerte, um der Beschilderung zur Wallfahrtsleitung im Brunnenhof neben der Basilika zu folgen. Ein junger, blasser Priester öffnete die schwere Tür, Karin Krafft hielt ihren Ausweis hoch und trug ihr Anliegen vor.
»Ich möchte den Wallfahrtsbetreuer sprechen, der für eine bestimmte Gruppe vom rechten Niederrhein zuständig ist. Die wäre gestern angekommen, wenn sie nicht verunglückt wäre.«
Komprimierte Information schien nichts für diesen durchgeistigten jungen Menschen zu sein. War auch leicht kompliziert, den Sachverhalt in wenige Worte zu fassen.
»Wen genau möchten Sie sprechen?«
»Den, der die Gruppe der ›Gerechten der Welt‹ empfangen und betreut hätte.«
Der Priester überlegte kurz, bat sie, in einem kalten, kahlen Flur zu warten, und verschwand mit zackigen Schritten, kehrte ebenso energisch zurück.
»Das ist unser Diakon, der hält Kontakt zu den eher weltlichen Gruppen. Keiner bleibt im Regen stehen, wenn er pilgert. Herr van Laak wird gleich kommen.«
Karin fröstelte. »Vielen Dank, ich warte draußen, da scheint im Moment die Sonne so schön.«
Der Innenhof bildete mit seinem leicht plätschernden Wasserspiel eine Oase der Stille in der bewegten Stadt. Karin hockte sich auf eine Bank.
Ein hagerer Mann, dessen Alter schlecht zu schätzen war, kam auf sie zu. Zwischen fünfzig und sechzig Jahre, dachte sie, ein ernster Mann, dem das Leben Linien ins Gesicht gezeichnet hat. Die spärlichen grauen Haare standen millimeterkurz vom wettergegerbten Kopf ab, Jeans, groß kariertes Hemd, eine Strickjacke mit Lederflicken auf den Ellenbogen. Er stellte sich mit festem Händedruck vor.
»Van Laak, Conrad van Laak. Hauptkommissarin? Es war doch ein Unfall, oder?«
Karin Krafft hatte etwas anderes erwartet, Geistlicheres, etwas Tröstliches, einen Bibelspruch, irgendwas, nur nicht weltliche Sachlichkeit und schon gar nicht Zweifel daran, dass es sich um einen tödlichen Unfall gehandelt hatte. Bevor sie antworten konnte, ergriff er die Initiative.
»Kommen Sie, wir setzen uns drüben ins Café Nederkorn.«
Sie liefen vorbei am Portal der Basilika. Van Laak wies hoch zu dem Fensterbogen über dem Hauptportal, der reliefartig von einer Vielzahl bronzener Figuren gefüllt war.
»Schauen Sie, die Kevelaerer Apokalypse, das ist die Wiederkehr Christi und die Auferstehung der Toten. Da sind eine Menge Berühmtheiten drunter, und bei genauer Betrachtung werden Sie sogar Adolf Hitler dort finden. Ein Künstler aus Düsseldorf, der Bert Gerresheim, hat sich bei dieser Zusammenstellung etwas gedacht, was hier nicht jeder teilt. So ist das mit der göttlichen Vergebung, selbst ein Schrecken der Welt bekommt das Recht zur Auferstehung. Fast wie im richtigen Leben, oder? Da kokst ein Fußballtrainer und darf es nach einem öffentlichen Bekenntnis bleiben, da leben Politiker über ihre Verhältnisse und müssen erst gehen, wenn die Öffentlichkeit aufmerksam wird. Erst bleibt vieles zwischen den Menschen im Dunkeln, und wenn man Glück hat, fragt nach ein paar Jahren niemand mehr danach. Kommen Sie, da wird ein Platz vor dem Café frei, Sie sitzen doch gern draußen?«
Karin Krafft fiel ein Ring an seiner rechten Hand auf. Weltlich kritische Ansichten und ein Ehering, wie passte das zu einer kirchlichen Tätigkeit?
»Sie sind also ein Priester?«
Ihr Gegenüber lachte tief und herzlich. »Nein, Gott bewahre. Ich bin Diakon, das ist ein weltlicher Helfer, der nach
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