Die Eule - Niederrhein-Krimi
ist das zuletzt passiert?«
»Ich glaube, vor gut zehn Tagen. Dabei war er so liebevoll und aufmerksam. Ein richtiger Beschützer, wissen Sie? Er hat mir alle Wünsche von den Augen abgelesen, und immer hat er auf mich aufgepasst. Jede freie Minute haben wir zusammen verbracht. Wenn ich mein Handy hier hätte, könnte ich Ihnen zeigen, wie viele SMS er mir geschickt hat, wenn wir nicht beisammen waren. Richtig süß, ein Mann, der ganze Sätze schickt und nicht so einsilbig schreibt.«
Innerlich notierte Burmeester, bei der Bereitschaftspolizei nach den Einsätzen bei Kai Manzel zu fragen.
»Wie heißt die Frau?«
»Kückel. Stellen Sie sich vor, die hat ganz eilig ihren Mädchennamen wieder angenommen. Vera Kückel, und ihre Tochter heißt Melissa Manzel. Manzel und Kückel, unmöglich. Jetzt hat sie freie Bahn. Die wird eine herzzerreißende trauernde Witwe spielen, und so schnell es geht, wird die Kleine auch Kückel heißen, wetten? Sie wird dem Kind den Namen und die Erinnerungen nehmen.«
Burmeester griff erneut in die Papiertuchbox, Monika schniefte mühsam und vorsichtig ins Tuch.
»Sie hat erreicht, was sie wollte.«
»Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»Irgendwo in Büderich.«
»Frau Engelmann, können wir das Thema wechseln? Ich wüsste gerne noch, wie Sie in diese Glaubensgemeinschaft gekommen sind.«
»Zu den ›Gerechten‹? Na, über Kai. Der war von Anfang an dabei. Die Gruppe und der Glauben hätten ihm Kraft und Hoffnung gegeben, hat er gesagt, und es war seine Bedingung, dass ich mitkomme. Er hätte mit niemandem zusammen sein können, der seinen Glauben nicht teilte.«
»Hat er das so gesagt?«
»Ja, er ist da ganz offen mit umgegangen. Und schließlich war das auch der Grund für die Trennung von seiner Ex.«
»Verstehe, die Vera Kückel wollte also nichts mit der Gemeinschaft zu tun haben.«
»Richtig, und die Gemeinschaft sieht das gerne, wenn die Lebenspartner mitkommen. Eine harmonische Lebensführung ist wichtig für das innere Gleichgewicht. Gemeinsamer Glaube schweißt zusammen.«
»Erzählen Sie mehr über die Grundsätze der Gemeinschaft. Wo ist der Unterschied zu den herkömmlichen christlichen Gemeinden?«
»Sie kennen ›Die Gerechten der Welt‹ nicht?«
»Nein. Bei Wikipedia steht nicht viel, und die Sektenbeauftragte erreichen wir erst wieder am Montag. Wie ist das Innenleben der Gemeinschaft? Ich habe keine Vorstellung davon, mit welchem Wissen, mit welchen Gefühlen man sich in dem Rahmen konfrontiert sieht.«
Die Tür öffnete sich leise, das freundliche Gesicht von Schwester Iris lugte um die Ecke.
»Ende der Besuchszeit. Für heute ist es genug. Nein, Frau Engelmann, kein Protest, Sie können ja einen neuen Treff vereinbaren.«
Ein bisschen walkürenhaftes Benehmen steht ihr gut, dachte Burmeester und fügte sich, nachdem er Monika Engelmann eine Karte auf den Beistelltisch gelegt hatte.
Also würde er sich wieder auf den Weg zurück nach Wesel begeben, um die Exfrau von Kai Manzel ausfindig zu machen. Vielleicht ein erster begründeter Verdacht. Im Büro saß sein Kollege Termath. Dieser Gedanke schoss ihm nicht ohne Verdruss durch den Kopf. Wenn es nur endlich ein Ende hätte, der angehende Rentner machte ihm den Abschied verdammt leicht.
* * *
Karin Krafft stellte ihren Wagen nach einigen erfolglosen Kurven über andere Parkplätze zwischen dem alten Rathaus und dem Polizeipräsidium am Peter-Plümpe-Platz ab, erwog, kurz bei den Kevelaerer Kollegen vorbeizuschauen, entschied sich aber dagegen. Dieser Ort schien vor Menschen überzuquellen. Der Mai war traditioneller Wallfahrtsmonat einer Marienstadt, das angenehme Wetter tat das Übrige dazu, um Besucher zu locken, die sonntags durch geöffnete Geschäfte bummeln wollten.
Durch die Annastraße lief sie in Richtung Fußgängerzone, bahnte sich den Weg durch die ernsthaften, ehrfürchtig betenden Menschengruppen, jeweils einem Bannerträger folgend, in den gefalteten Händen ihre Gebete auf beanspruchtem Papier. Hier wäre die Gruppe auch langgepilgert, ging es Karin durch den Sinn, lebendig, konzentriert, alle miteinander. Sie wartete ein paar Minuten, ließ eine Schar älterer Frauen passieren, die niederländische Lieder sangen. Die ältesten Gläubigen schoben Rollatoren über die holprige Pflasterung. Der Altersdurchschnitt überschritt den einer weltlichen Fußgängerzone.
Eine junge Frau kam ihr entgegen mit einem großen Button an der leichten Jacke. »Ich bin kein Pilger, ich lebe hier«,
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