Die Eule - Niederrhein-Krimi
verhelfen. Sein Äußeres veranlasste seine Umwelt manchmal zu spöttischen Bemerkungen, seine fachliche Arbeit hingegen bot keinen Anlass zur Kritik. Wenn jemand im größten Chaos besonnen den Überblick behielt im K 1, dann war es Simon Termath. Karin seufzte. Nie wieder Leberwurstbrote, die seine Frau ihm mit stoischer Regelmäßigkeit einpackte und die er allzu gern verschenkte, weil er sie nicht mehr sehen konnte.
Die Zufahrt zur neuen Rheinbrücke schlängelte sich elegant auf den Pylon zu, der mit seinen weit gespannten roten Litzenbündeln imposant aus weißer Watte aufragte, für Karin und viele andere Pendler zwischen den Ufern immer noch einen bewundernden Blick wert. Was für ein Bauwerk!
* * *
Sie stellte ihr Auto hinter dem Kommissariat ab und schaute ins frische Grün der Linden auf dem Mittelstreifen des Herzogenrings. Auch hier nisteten sich die Saatkrähen ein, die mittlerweile den ganzen Niederrhein zu bevölkern schienen. Sie passierte die Pforte gedankenversunken, bemerkte nicht den Versuch des Diensthabenden, sie per Handzeichen aufzuhalten. Es gab genug zu tun. Drei Tote zwischen Xanten und Sonsbeck, ein Toter in einem Duisburger Krankenhaus. Der direkte Zusammenhang war offensichtlich, und das K 1 hatte keinen blassen Schimmer, wohin die Ermittlungen sich entwickeln würden. Sie öffnete die Bürotür und nahm sofort diesen Geruch wahr. Ein Männerparfüm, markant, nicht aufdringlich, nicht zu süß, herb, interessant und nicht billig.
Sie warf ihre Jacke über die Stuhllehne, als sie aus dem Nebenraum des Durchgangsbüros ein Geräusch hörte. Sollte Simon schon wieder in aller Herrgottsfrühe hier gestrandet sein? Die Hauptkommissarin wollte endlich mal eine Stunde nur für sich. Berichte sichten, Gedanken ordnen, Fakten sortieren. Na warte, der sollte sich auf was gefasst machen. Energisch schritt sie zur Tür.
Bevor sie etwas sagen konnte blickten ihr bernsteinfarbene Augen hinter einer rechteckig gehaltenen Hornbrille entgegen, welche die Augenpartie breiträumig einrahmte. Hellbraune, kurze Haare standen, im Wetlook mit Haargel geformt, gewollt wirr vom Kopf ab.
»Sie müssen Hauptkommissarin Karin Krafft sein.«
»Dann sind Sie …«
»Aha. Gero von Aha.«
Karin stand wie vom Donner gerührt im Türrahmen, erstaunt, diesen Namen ausgesprochen zu hören, dem sie eine Betonung gegeben hätte, als hätte sie gerade etwas völlig Überraschendes entdeckt. »Aha.«
»Genau, nicht wie der Ausruf des Erstaunens, sondern mit der Betonung auf dem ersten Vokal: Aha wie Uhu.«
Gockelhaft verrückte der Neue seine Brille, knöpfte sich das elegante Sakko zu und warf sich mit einem Hauch von Understatement in Pose. Nicht zu viel und nicht zu wenig und wohl wissend, wie er in der nüchternen Kommissariatsstube Wirkung entfalten konnte. Ein bisschen Snob, ein wenig Dandy, auf jeden Fall mit Stil und mit der permanenten Botschaft: »Ich bin anders, und ich werde nie so sein wie ihr.«
Karin Krafft empfand den Aha-Effekt als textil überkandidelt und den Auftritt als bemüht blasiert. Was war denn das für einer? Wollte der das Ekel vom Dienst werden? Die Kommissarin flüchtete sich zur Begrüßung in allgemeine Freundlichkeit.
»Na, dann herzlich willkommen. Ich war darauf gefasst, Sie im Laufe des Tages hier zu begrüßen. Was machen Sie so früh hier im Büro?«
»Die Pforte hat mich eingewiesen. Dies ist doch der Platz des ausscheidenden Kollegen oder etwa doch nicht? Ich wollte mich schon mal einrichten. Die restlichen Utensilien des Vorgängers habe ich auf die Fensterbank gelegt. Ist schon ein wenig veraltet, die Büroausstattung, wirkt wie tiefste Provinz.«
Der plustert sich auf, der Aha, dachte Karin, erinnerte sich gleichzeitig an die Flut von jährlich gestellten Anträgen zur Erneuerung der Einrichtung, die in gleichem Turnus abgelehnt zurückkamen. In der Beziehung war die Weseler Dienststelle tiefste Provinz. Sie schmunzelte in der Erinnerung an Simons Antrag auf ein Lineal, der zweimal zur Feststellung der Notwendigkeit begründet werden musste, genehmigt und nach sagenhaften zwei Jahren ausgeliefert wurde. Erst jetzt bemerkte sie die Kiste mit Bilderrahmen und anderem Kleinkram, die neben dem Schreibtisch stand. Aha folgte ihren Blick.
»Da habe ich Fotos von meinen Trekkingtouren gerahmt. Ich erlebe die Welt gerne auf eigenen Füßen. Ich konnte nicht schlafen, da habe ich eine Auswahl zusammengestellt. Die erste Nacht an einem fremden Ort ist nie von Entspannung
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