Die Eule von Askir
stehen sie schon seit Tagen in Reih und Glied vor dem Tor.«
»Es gibt noch einen anderen Grund«, sagte Feltor und bleckte die Zähne. »Weißt du, dass sich die Weltenkugel dreht? Dass sich die Ströme der Magie ändern, dass es eine Rolle spielt, wie die Monde stehen und auf welcher Seite die Sonne die Weltenkugel erwärmt? All das wirkt sich auf den Fluss der Welten aus. Wenn ich das Tor zur falschen Zeit öffne, wird es nicht dort erscheinen, wo es erscheinen soll. In der Nähe, ja, aber nicht am exakten Platz.« Er schaute sie an und deutete auf den schwarzen Kristall. »Dort liegt der Stein, Asela. Nimm ihn und öffne das Tor. Wir werden sehen, was passiert.«
Die ehemalige Kurtisane verharrte wo sie stand.
»Ich sehe, du hast dir einen Rest Vernunft bewahrt«, meinte Feltor. »Ich danke dir für deine Kunde, aber es ändert nichts an meinen früheren Worten. Geh und genieß deinen Triumph, der gegen alles geht, was du einst geschworen hast.«
»Das ist fast schon Verrat«, sagte sie und sah ihn strafend an.
Feltor lachte bitter. »Verrat? Wie soll man ihn denn verraten, wenn er sich in jedem Winkel der Gedanken eingenistet hat? Du sprichst wirr.«
»Warum machst du mir dann diese Vorwürfe? Es ist nicht das erste Mal«, sagte sie steif.
»Ich mache dir keinen Vorwurf, ich wollte, ich könnte es! Ich kann es nur schwer ertragen, dass du so sehr die Hündin unseres Herrn bist, dass du nicht einmal siehst, wie groß die Tragweite seiner Handlungen sein wird. Das, was heute Nacht hier geschieht, wird den gesamten Weltenball erschüttern. Und du stehst hier und denkst nur daran, deinen erbärmlichen Lohn aus seiner Hand zu erhalten!«
»Du bist eifersüchtig«, stellte sie erstaunt fest.
»Nein«, sagte Feltor leise. »Ich bin der Diskussionen müde, es ist der falsche Ort und die falsche Zeit. Aber ich sage dir: Ich betrauere den Tod der Frau, die ich einst geliebt habe. Und nun, zum letzten Mal, geh, oder ich sorge selbst dafür, dass ich dich nie Wiedersehen muss. Geh… ohne ein weiteres Wort.«
Sera Asela schaute ihn an, bemerkte den Blick in seinen zweifarbigen Augen und wusste, dass er es ernst meinte. Sie drehte sich um, hob den schweren Stoff an, und erst im letzten Moment erinnerte sie sich daran, wieder zur Soldatin zu werden.
Merzek betrachtete seinen Meister, der mit zu Fäusten geballten Händen dastand. »Verzeiht«, sagte er leise. Feltor blickte zornig zurück und atmete dann tief durch.
»Was wollt Ihr sagen, Merzek?«
»Dass sie schuldlos ist. Sie ist eine seiner Hündinnen.«
»Ihr braucht sie nicht zu verteidigen«, sagte Feltor. »Ich weiß das nur zu gut.«
»Es trifft jede Frau, die er jemals erblickt hat. Wisst Ihr, warum er eine solche Angst vor Frauen hat?«, fragte Merzek zögernd.
»Weil eine Priesterin ihm einst vorhergesagt hat, dass die Tochter des Drachen ihn zerdrücken würde wie der Drache die Schlange auf dem Wappen des Alten Reichs«, sagte Feltor rau. »Seitdem sorgt er dafür, dass keine Frau, die ihm jemals nahe kommt, über eigenes Denken verfügt.«
Glühende Klauen bohrten sich in seine Gedanken und zwangen ihn fast zu Boden, bevor der Schmerz langsam nachließ.
Merzek sah ihn überrascht an. »Was war das?«
»Er zeigt mir seinen Unwillen über derartige Worte«, sagte Feltor und wischte sich den Schweiß ab. »Er schläft noch. Er tut es sogar, ohne dass es ihm bewusst ist.«
»Er ist ein Gott«, sagte Merzek ergeben. »Es hat wenig Sinn, sich gegen seinen Willen zu stellen.«
»Er ist kein Gott. Noch nicht, auch wenn er selbst es glaubt«, sagte Feltor mit belegter Stimme. Er bleckte seine Zähne in einem schmerzhaften Lächeln. »Aber dennoch müssen wir seinem Willen folgen.« Er musterte den anderen Mann. »Ihr wisst, was Ihr zu tun habt?«
»Ja«, sagte Merzek und verbeugte sich vor Feltor. »Falls wir uns nicht Wiedersehen… Es war eine Ehre, unter Euch zu dienen.«
»Früher, als solche Worte noch Bedeutung hatten, hätte ich auch Euch gelobt«, sagte Feltor. Ein Schimmern lief über ihn, und ein Mann in der Livree eines Dieners stand dort, wo eben noch Meister Rolkar gewesen war. Er zog den schweren Stoff zur Seite und verließ den Hohlraum unter dem Podest in der Mitte der Gildehalle.
64
Wiesel stand an eine der acht Statuen gelehnt und pickte eine Traube aus der flachen Schale, die er in der anderen Hand hielt, warf sie hoch und fing sie mit dem Mund auf, während sein Blick dem Diener folgte. Er war auf der Suche
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