Die Eule von Askir
werden und herauszufinden, was man dort über den Toten wusste.
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Wenn man den Legenden und Balladen von einst glauben konnte, dann hatte die Erde unter den Stiefeln der Eulen von Askir gezittert, hatten sie mit Blitz und Donner nach den Feinden des Reichs geworfen und noch ganz nebenbei die Sterne vom Himmel gepflückt.
Desina hatte daran so ihre Zweifel. Im Laufe der letzten Jahre hatte sie genügend Tagebücher der alten Eulen gelesen, um zu wissen, dass vieles von dem, was man ihnen nachsagte, wohl doch mehr auf Dichtung beruhte als auf Wahrheit.
Desina hatte erst nach langen Jahren herausgefunden, dass das Wirken von Magie mehr Schritte umfasste, als man gemeinhin denken mochte. Und ein jeder dieser Schritte musste bedacht, beherrscht und verstanden sein.
Man brauchte das Talent selbst sowie Übung darin, die unsichtbaren Ströme der Magie zu sehen, und dann musste man sie so zu lenken verstehen, dass sie das Wesen der Dinge berührten und veränderten.
Wenn ein Maestro einen Topf Wasser zum Kochen bringen wollte, gab es dazu zwei Möglichkeiten. Er entzündete ein Feuer mit Holz und Reisig und stellte den Topf darauf, oder er sammelte die Magie um sich herum, um so dem Wasser mit reinem, purem Willen das Kochen zu befehlen.
Die wahrscheinlichste Folge davon wäre aber, dass die Magie den Maestro selbst und alles in seinem Umkreis in einem gewaltigen magischen Feuerbrand vergehen ließ, der Fanal genannt wurde. Angeblich brannte das Fanal heiß genug, um den härtesten Stahl schmelzen zu lassen.
In einem der Lehrbücher an den Rand geschrieben fand Desina dazu den passenden Satz: Es ist davon auszugehen, dass das Fanal durchaus auch das Wasser zum Kochen bringen wird.
Jedes Wirken wurde bezahlt. Das war das erste Gesetz der Magie.
Beherrschte ein Maestro es nicht, die Magie der Umgebung zu entziehen, nahm er zu viel oder gar zu wenig, erzwang sich die Magie den Preis für dieses Wirken, und der Feuerbrand, das Fanal, war die Folge.
Das Talent lag also nicht nur in der Fähigkeit, das Wesen der Dinge verändern zu können, sondern auch im Wissen, wie man es am besten tat.
Nicht das rohe Talent hatte die Maestros vom Turm einst so mächtig werden lassen, es war das Wissen, das sie in Jahrhunderten akribischer Forschungen angehäuft hatten, ihr Verständnis um das Wesen der Dinge. Die Kunst lag also darin, genau das Richtige zum rechten Zeitpunkt mit der rechten Kraft zu bewirken. Wenn der Maestro sich irrte, folgte das Fanal.
In einem seiner frühesten Tagebücher beklagte einer der größten Maestros des Turms den Verlust eines Freundes. Manchmal, so schrieb er, scheint es mir gefährlicher, eilte Kerze zu entzünden, als von der höchsten Klippe zu springen.
So selten das Talent eines Maestros auch war, weitaus seltener war es, dass es sich zur vollen Blüte entfaltete, ohne dass erst der Schüler, dann der Student oder später der Meister im Fanal verging. Das war der zweite Satz der Magie. Auf Dauer entgeht niemand dem Fanal.
Als vor knapp siebenhundert Jahren der Weltenstrom versiegte und die Magie sich von einem breiten Strom in ein Rinnsal verwandelte, gab es nichts mehr, was ein Maestro außerhalb seiner selbst finden konnte, um die Magie seines Wirkens zu speisen.
Es hatte nie viele Eulen gegeben, selten mehr als drei Dutzend, zu außergewöhnlich war das Talent zur Magie. Doch selbst die erfahrensten unter ihnen wurden mit der Zeit ein Opfer des Fanals, denn jegliche Magie musste nun von ihnen selbst bezahlt werden.
Andere Talente wirkten anders. Das Fanal bedrohte nur diejenigen, die ihre Kraft aus dem Strom der Welten bezogen. Nur die Gabe der Magie verging im Fanal.
Die Eulen starben. Knapp ein Dutzend Jahre, nachdem der Ewige Herrscher abdankte, lebte keine mehr von ihnen. Ohne Ausnahme waren sie im Fanal geendet.
Eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Schmiedegilde war das Wissen über die Fertigung des berühmten imperialen Stahls, der nur schwer seine Schärfe verlor und so gut wie gar nicht rostete. Es waren die Eulen, die herausgefunden hatten, wie man ohne Magie einen solchen Stahl schmieden konnte. Es gab vieles, was die Maestros vom Turm herausgefunden hatten, Wunder wie die Leuchtgloben, die einst über eisernen Körben auf hohen Säulen die Straßen gesäumt und sie nachts mit weichem Licht erfüllt hatten. Wie man aus Wasser und Sand mächtige Steine formte, oder auch nur wie man Holz daran hinderte, im Wasser aufzuquellen. Oder wie man Brücken
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