Die Eule von Askir
heute war es so, dass die Eulen Adjutanten brauchten, die sich für sie um weltliche Dinge kümmerten. Deshalb gibt es eine Ausnahme.« Sie lachte leise und schüttelte den Kopf. »Sie waren schon ziemlich misstrauische Burschen. Die Magie, die den Turm schützt, besteht darauf, dass derjenige, der eingelassen wird, auch wahrhaftig der Adjutant ist. Ich versuchte, eine der Federn hineinzuschmuggeln, damit er mir vielleicht bei meinen Forschungen helfen könnte, aber der Turm verwehrte ihm den Zutritt.«
»Vielleicht hättet Ihr diese Feder zu Eurem Adjutanten machen sollen«, schlug Santer vor. »Das hätte Eure Probleme doch mit einem Streich gelöst.«
»Nein, es hätte sie eher noch verschlimmert«, antwortete sie. »Kommt, wir bringen das Ritual hinter uns, dann erkläre ich Euch bei einem Tee, warum ich Euch brauche und warum eine Feder nicht dafür geeignet wäre, mein Adjutant zu sein.«
Er folgte ihr zu dem Durchgang und blieb stehen, als sie die Hand hob.
»Wartet hier. Ich komme gleich wieder, ich muss nur etwas holen.«
Er nickte und sah ihr zu, wie sie im Turm verschwand. Da die Tür offen stand, hatte er freien Blick in die untere Halle des Turms, die ihm überraschend geräumig erschien. Sie war eingerichtet wie ein Salon, mit Sesseln, kleinen Tischen, Regalen mit schweren Folianten, Lampen, einem Kamin an der inneren Säule, die eine Wendeltreppe in sich barg und wohl auch, wie Santer vermutete, den Abzug des Kamins. Durch hohe Butzenglasscheiben fiel helles Licht in den geräumigen Salon, der offen und gemütlich wirkte.
Santer sah sich die vier Fenster an und runzelte die Stirn. Von außen besaß der Turm gar keine Fenster. Nun gut, dachte er, er konnte die Eule ja später dazu befragen. Außerdem gab es noch mehr zu sehen. Zwei weitere Türen gingen von der Halle ab, eine davon, so vermutete Santer, führte zu dem kleinen Häuschen. Es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich die Eulen hier abends versammelt hatten, miteinander über den Tag sprachen oder Shah spielten. Vom Durchgang aus konnte Santer den Tisch mit den schwarzen und weißen Figuren erkennen, der seitlich neben einem Schreibtisch stand. Er erinnerte sich daran, dass die Maestra das königliche Spiel auch liebte. Vielleicht konnte er sie ja zu einer Partie bewegen, wenn sich die Zeit dazu bot.
Die Maestra kam leichtfüßig die Wendeltreppe herab und hielt eine Münze hoch, damit er sie betrachten konnte. Es war eine einfache goldene Münze mit einer stilisierten Eule auf der einen Seite und einem Schwert auf der anderen.
»Tragt diese Münze bei Euch«, sagte sie. »Sie wird Euch Einlass in den Turm gewähren, Euch allerdings nicht erlauben, die Treppe zu benutzen.«
»Das war es schon?«, fragte er.
»Ja«, meinte sie. »Ich will Euch nicht mit den Details langweilen, wie schwierig es war, diese Münze herzustellen. Los, worauf wartet Ihr? Kommt herein!«
Irgendwie verwunderte es Santer kaum, dass sich die schwere Eichentür hinter ihm von ganz allein schloss.
»Es mag nicht militärischer Prozedur entsprechen, aber… sagtet Ihr nicht etwas von einem Tee?«
»Richtig«, entgegnete sie. »Folgt mir.«
»Wir sollten noch einige andere Kleinigkeiten klären«, sagte die Maestra, während sie mit einer Zange die Herdringe anhob und einen Blick in den Feuerkasten warf. Sie seufzte, führte eine kleine Bewegung aus, und mit einem lauten Fauchen schlug eine orangerote Flamme durch die Öffnung. Sie nickte zufrieden, zog die Herdringe wieder über die Öffnung und stellte einen eisernen Kessel darauf.
»Das muss praktisch sein«, kommentierte Santer, der das Ganze von der Tür aus beobachtet hatte.
»Setzt Euch«, meinte die Maestra.
Er trat an den großen Küchentisch heran, hängte sein Schwert aus, zog sich einen Stuhl heraus und setzte sich erleichtert. Erleichtert deshalb, weil er sich überraschend schwach auf den Beinen fühlte. Er sah sich in der Küche um, es war ein großer, angenehmer Raum, weiß gekalkt mit hohen, vor Alter dunklen Deckenbalken. Neben dem Fenster hingen Büschel getrockneter Kräuter von der Decke, Becher, Pfannen und Töpfe baumelten von Haken an der Wand, Schränke und Nischen enthielten Gläser und Dosen. Es roch angenehm nach Kräutern, und Santer entschied, dass es ein Raum war, in dem er sich wohlfühlen konnte.
»So schwer war das nicht. Es war noch Glut von heute Nacht drin, das hilft«, erklärte die Maestra. »Aber Ihr habt recht, manchmal ist es praktisch. Meistens nicht.«
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