Die Eule von Askir
Sie setzte sich ebenfalls. »Seitdem ich den dritten Grad erreicht habe, bin ich offiziell eine Maestra des Turms und zurzeit die einzige Eule der Reichsstadt. Zugleich bin ich auch zwangsweise die höchstrangige Eule, also bin ich zugleich auch die Prima der Eulen. Sagt mir, was Ihr über die Aufgaben der Eulen wisst.«
»Nun, soweit ich mich erinnere, war die wichtigste Aufgabe der Eulen die, das Reich zu schützen. Gegen innere und äußere Feinde, gegen Schwert und Magie. Hauptsächlich aber die Nekromanten zur Strecke zu bringen.«
»Wisst Ihr, warum?«
Santer schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Durch seine Ausbildung lernte ein Maestro des Turms die magischen Flüsse wahrzunehmen, die uns und alles, was es auf dieser Welt gibt, umgeben und durchdringen. Ein Nekromant hingegen hat sich gegen den Willen der Götter vergangen und steht außerhalb ihrer Gunst, somit befindet er sich nicht in Einheit mit dem Rest der Schöpfung. Das ist die Erklärung, direkt aus den Tempelbüchern. Angeblich reicht also ein Blick, um einen Nekromanten zu erkennen.« Sie sah ihn direkt an. »In den Tagebüchern, die ich gelesen habe, steht es auch so. Ich sah, dass er die dunkle Gabe in sich trug. Aber wie das genau geht, weiß ich nicht.«
»Nun, ich hoffe, Ihr findet es bald heraus«, sagte Santer. »Das könnte uns sehr nützlich sein.« Er sah sie fragend an. »Könnt Ihr mir mehr über diese Nekromanten erzählen? Alles, was ich über sie weiß, sind Gerüchte und Legenden. Stimmt es, dass sie die Seele anderer rauben, damit sie sich der magischen Talente ihrer Opfer bedienen können?«
Die Maestra nickte. Ihr Gesichtsaudruck war ernst, als sie weitersprach. »Deshalb nennt man sie auch Seelenräuber oder Seelenreiter. Sie sind weitaus mehr als eine alte Legende, mit der man heutzutage die Kinder erschreckt. Was ich hier in den alten Aufzeichnungen gelesen habe, lässt kalte Schauer über meinen Rücken laufen. Sie sind die Verlorenen, verflucht, dem Namenlosen zu dienen, dazu verfahrt, das Werk der anderen Götter zu zerstören, auf die der Namenlose neidisch ist.«
Sie stand auf, um den Kessel vom Herd zu nehmen, in dem hörbar das Wasser brodelte. Mit raschen, sicheren Bewegungen stellte sie zwei irdene Schalen auf den Tisch, füllte zwei silberne Tee-Eier mit Tee aus einer Dose aus Steingut, warf sie in die Schalen und goss das Wasser auf, ihre Bewegungen so schnell und sicher, dass es Santer erschien, als ob sie das alles in einem Augenblinzeln getan hätte.
Sie stellte den Kessel ab, zog den eisernen Abschluss über die Herdringe und setzte sich wieder an den Tisch.
»Die meisten Nekromanten waren nichts anderes als eine mörderische Brut, die ihrem dunklen Herrn darin diente, Leid, Schmerz und Chaos in die Welt zu tragen. Es war nicht der Namenlose, der ihnen diese Aufgabe gab, Stabsleutnant, es war ihre eigene Machtgier. Einst herrschten sie über große Teile des Landes wie eifersüchtige Kriegsfürsten, die miteinander im Zwist lagen. Aus den Unterlagen hier im Turm geht hervor, dass der König von Aldane, eben jener, den Askannon hinrichten ließ, ein Nekromant war. Sein ältester Sohn war ebenfalls mit der dunklen Gabe verflucht. Sie scheiterten bei dem Versuch, Askannon seine Gabe der Magie zu entreißen. Und so nahm alles seinen Anfang.«
»Davon«, meinte Santer und betrachtete nachdenklich den dampfenden Tee vor sich, »habe ich noch nie gehört.«
»Außerhalb dieser Mauern wird es auch nie Erwähnung finden, Stabsleutnant. Es wäre nicht gut, wenn die Menschen auf den Gedanken kommen würden, dass Prinz Tamin dieses dunkle Erbe in seinen Adern trägt. Er tut es nicht. Ich weiß nicht wie, darüber gibt es keine Aufzeichnungen, aber Askannon stellte sicher, dass das nicht geschehen konnte.«
»Wurden die anderen Reiche auch von Nekromanten regiert?«, fragte Santer neugierig.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Soweit ich weiß, war nur der König von Aldane ein Nekromant. Die anderen Kriege wurden aus Angst und Neid geführt, oder schlichtweg im Versuch, sich das Land Aldane zu greifen, solange Askannon noch damit beschäftigt war, seine Regentschaft zu sichern. Das wird auch nicht oft erwähnt: Askannon ernannte sich nicht zum König von Aldane, sondern zum Regenten des Prinzen. Genauso handhabte er es mit den anderen Reichen. Er verstand sich als Regent. Der Vertrag von Askir regelt also nichts anderes als die Übergabe der Kronmacht an die rechtmäßigen Erben der sieben Reiche. Es steht alles im
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