Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
Er ließ keinen Zweifel daran, dass er entschiedener Gegner der Einheitswährung war.
Schon als die Idee des Europa-Geldes in den Neunzigerjahren aufkam, stritten wir über dessen Erfolgschancen. Ich gebe zu, den geplanten Euro leidenschaftlich verteidigt zu haben, während Graf Lambsdorff mir in der für ihn typischen Ruhe widersprach. Seine föderalistische Einstellung, wonach Verantwortung nicht zentral gebündelt, sondern Bürgern und Kommunen direkt übergeben werden sollte, vertrug sich nicht mit einer One-size-fits-all -Währung, die die verschiedensten Volkswirtschaften über einen Leisten schlagen würde. In der entscheidenden Abstimmung im Bundestag im April 1998 enthielt er sich der Stimme – aus Sicht der überwältigenden Mehrheit der Euro-Befürworter ein Skandal.
In seiner Begründung wies Graf Lambsdorff darauf hin, dass er für sich und seine Partei eine Zustimmung zur »einheitlichen europäischen Währung« nur unter der Bedingung geben könne, »dass die Kriterien des Vertrages strikt eingehalten werden und dass ihre Dauerhaftigkeit gesichert wird«. Daran hatte er auch deshalb Zweifel, weil ihm die Neigung vieler Europäer zur »kreativen Buchführung«, wie er es nannte, längst bekannt war. Schon damals erschien ihm, ganz abgesehen von der Unzuverlässigkeit der Partner, die Gesamtverschuldung Europas viel zu hoch, um dem Projekt zustimmen zu können. Diese fast prophetische Weitsicht muss auf all jene beschämend wirken, mich selbst eingeschlossen, die sich damals an der Idee des Euro berauschten.
Zwei Jahre später, im Jahr 2000, sah der »Wirtschaftsgraf« sich in seinen Befürchtungen bestätigt. Die Aufnahme Griechen lands hielt er für einen »kapitalen Fehler«, und er wunderte sich darüber, »was man den Bürgern eigentlich alles zumutet«. Zwar würde die Euro-Einführung der Exportindustrie Erfolge bringen, doch »der einfache Bürger zahlt dafür«.
Nachdem die FDP ziemlich dreist den Grafen für eine Politik beanspruchte, die er selbst scharf abgelehnt hätte, schrieb ich im Januar 2013 eine Handelsblatt -Kolumne unter dem Titel »Mehr Lambsdorff, weniger Genscher«, in dem ich ziemlich unverblümt meine Sicht des Täuschungsmanövers der FDP -Führung darstellte. Postwendend erhielt ich von seiner Witwe, Alexandra Gräfin Lambsdorff, einen Brief.
Ich weiß, dass mein Beitrag im Handelsblatt sie zutiefst erfreut hat! Sie und ihr kluger Mann waren sich einig: Alle Schlachten werden immer weiter geschlagen, vor allem die um die Deutungshoheit der Geschichte …
Ebendies, eine Umdeutung des Lambsdorff’schen Erbes ins Gegenteil, war von der FDP vollzogen worden, und kein Insider hatte sich dagegen gewehrt. Die Gräfin, die es gern getan hätte, konnte es nicht, denn, so schrieb sie mir einmal: »Man darf sich als Witwe in dieses Getümmel nicht hineinbegeben.« Meine Kolumne mag dabei ausgedrückt haben, was sie unter anderen Umständen selbst gesagt hätte.
2. Ralf Dahrendorf
Eine andere beeindruckende Persönlichkeit, die mein Leben geprägt hat, war der Soziologieprofessor Ralf Dahrendorf, ein führender Vordenker des Liberalismus. Wie Graf Lambsdorff, dessen Partei er angehörte, ist er als Mahner in die Geschichte des Euro eingegangen. Vielleicht darf ich einige persönliche Erinnerungen vorausschicken.
Zu seiner Zeit als Rektor in Oxford hat er mich in den Neunzigerjahren zu einem Vortrag ins St. Antony’s College eingeladen. Als Chef der IBM Europa konnte ich seinen Studenten erzählen, dass ich Lord Dahrendorf – die Queen hatte ihn geadelt – schon Jahrzehnte zuvor an der Hamburger Akademie für Gemeinwirtschaft, der späteren Hochschule für Wirtschaft und Politik, kennengelernt hatte.
Als ich ihn 1959 zum ersten Mal sah, wirkte er auf mich nach Kleidung und Haltung wie ein englischer country gentleman . Und dabei war er, mit nicht einmal 30 Jahren, Deutschlands jüngster Universitätsprofessor. Schwungvoll schrieb er seinen Namen mit Kreide an die Tafel. Dort stand »Prof. Dr. Ralf Dahrendorf Ph.D.«. Wir alle rätselten, was dieses seltsame Kürzel zu bedeuten hatte, bis er uns nicht ohne Stolz aufklärte, dass er seinen Doctor of Philosophy , originellerweise über Karl Marx, in England gemacht hatte.
Nach der anekdotischen Einleitung legte ich vor seinen Oxforder Studenten ein Bekenntnis ab: Ich hatte meine Karriere, zumindest teilweise, Ralf Dahrendorf zu verdanken. Zum einen, weil er mir als Professor an der Hamburger Akademie ab 1958 das Rüstzeug zu
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