Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
Stillstand und damit den Anfang vom Rückschritt zumuten wollen.«
Möglicherweise hat dieser Brandbrief den Ausschlag beim Mitgliederentscheid gegeben. Denkbar knapp verloren die Euroskeptiker mit 44,2 Prozent gegen die Schutzschirmbefürworter mit 54,5 Prozent. Das heißt, dass ohne die Intervention ihres Ehrenvorsitzenden der Partei die Wendung weg von der Merkel’schen Konzessionspolitik hin zu einer vernünftigen Interessenvertretung unseres Landes und einer liberalen Europapolitik wohl gelungen wäre. Aber der Mann mit dem gelben Pulli hat sich durchgesetzt, wie ihm das auch, als Vaterfigur der Westerwelles und Röslers, in anderen Politikfeldern gelingt. Und das, obwohl er seit 1985 nicht mehr Parteivorsitzender ist.
Neben Genschers pathetischer Beschwörung von Europas schwerster Stunde tauchte parteiintern auch eine Parole auf, die von Parteigranden wie Philipp Rösler, Guido Westerwelle und Christian Lindner immer wieder ins Spiel gebracht wird. »Wir wollen«, so sagen sie, »für den Euro in der Genscher-Lambsdorff’schen Tradition kämpfen.« Womit sie ausdrücken, dass ihr europolitischer Kurs, der allen FDP -Prinzipien widerspricht, doch irgendwie der FDP -Tradition verpflichtet sei – und zwar gerade jenem Abschnitt der Tradition, in dem die Liberalen noch bundesdeutsche Geschichte mitgeschrieben haben. Man setze nur fort, behaupten sie, was die großartigen Vorläufer der heutigen Führung begonnen haben. Wie zur Bestätigung hatte einer dieser Vorläufer, Genscher, seine Unterschrift daruntergesetzt.
Unter Historikern nennt man ein solches Verhalten Geschichtsklitterung. Dabei verdreht man tatsächliche Ereignisse und Fakten so lange, bis sie den Wünschen der Gegenwart entsprechen. Im Fall der »Genscher-Lambsdorff’schen Tradition« hat man bewusst FDP -Geschichte geklittert (siehe dazu auch Kapitel acht ). Der erste Teil des Koppelwortes stimmt – der zweite ist eine Verdrehung der Wahrheit: Graf Lambsdorff vertrat das genaue Gegenteil dessen, wofür er heute beansprucht wird.
Für mich gehört Otto Graf Lambsdorff zu den beeindruckendsten Politikern, die unser Land je hervorgebracht hat. Ein echter Liberaler, für den Freiheit den höchsten Wert darstellte – Freiheit nicht nur für eine bestimmte Klasse, sondern für alle. Deshalb hat er sich genauso intensiv für die Menschenrechte eingesetzt wie für die Marktwirtschaft. 1996 nahm er sogar eine kleine Eiszeit im Verhältnis zum Handelspartner China in Kauf, als er sich im Bundestag für das unterdrückte Volk der Tibeter einsetzte. Damals begleitete ich Außenminister Kinkel nach Peking zu einer Art Beschwichtigungstour. Sie gelang, doch Lambsdorff ist für die Chinesen bis zu seinem Tod persona non grata geblieben. Eine solch beeindruckende Personaleinheit von mutigem Menschenrechtler und sozialem Marktwirtschaftler habe ich seitdem nicht wieder getroffen.
Als Wirtschaftsminister unter Helmut Schmidt und anschließend Helmut Kohl vertrat er eine Marktwirtschaft, die auf Eigenverantwortung, Wettbewerb und Einhaltung der Menschenrechte basierte. Anhaltende Arbeitslosigkeit bezeichnete er als »schlimmste soziale Unausgewogenheit«. Unter der Flick-Spendenaffäre hat Lambsdorff, der von 1988 bis 1993 Bundesvorsitzender der FDP war, schwer gelitten – 1984 hat sie ihn sein Ministeramt gekostet, drei Jahre später musste er eine Geldstrafe dafür bezahlen. Dabei hat er sich bei der Aufarbeitung des Skandals viel nobler verhalten als etwa Helmut Kohl in seiner Spendenaffäre. Auch sonst scheint mir »nobel« das Wort, das den großen Liberalen am besten charakterisiert. In einer Laudatio, die ich 2001 anlässlich seiner Aufnahme in die »Hall of Fame« des Manager Magazins auf ihn halten durfte, bezeichnete ich ihn als legitimen »Nachfolger Ludwig Erhards«. Den Nachfolgern dieses Nachfolgers lässt sich Legitimität nicht mehr nachsagen.
Seinen Neffen Alexander, der denselben Adelsnamen trägt und Mitglied des Europaparlaments ist, hindert seine familiäre Herkunft nicht, gleichsam im Namen seines verstorbenen Onkels die Euro-Rettungspolitik der FDP zu unterstützen. Fragt sich, ob Neffe Alexander weiß, wovon er spricht. Ich habe Otto Graf Lambsdorff sehr gut gekannt, der wie kaum ein anderer Tugenden wie Gründlichkeit, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit verkörperte. Da ich dieses FDP -Urgestein immer bewunderte, war es mir ein besonderes Vergnügen, mit ihm im Konvent für Deutschland auch über den Euro zu diskutieren.
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