Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
nordischen Länder beglichen ihre Rechnungen nach 25 Tagen. Spanien dagegen brauchte 80, Italien und die meisten Südstaaten 90 Tage.
Traditionell ist es gängige Praxis in den Mittelmeerländern, ihre Rechnungen möglichst spät zu bezahlen, um liquide zu bleiben oder den Zinsgewinn einstreichen zu können. Wir in der IBM haben uns immer dagegen gewehrt, auf diese Weise übervorteilt zu werden, aber irgendwie schien es zur südländischen Folklore zu gehören. Wie oft hörte ich die Erklärung: »Bei uns ist das so«, was bedeutete: Wem wir etwas abkaufen, der muss sich mit unseren Usancen abfinden. Seid froh, dass wir überhaupt bezahlen!
Offenbar geht der italienische Staat genauso vor. Das war es, was Monti mit seinem dreisten Bekenntnis angesprochen hatte. Die Leistungen, die ihm von italienischen Firmen gebracht worden waren, hatte er noch nicht bezahlt. Und zwar so lange nicht, dass viele dieser Firmen vor der Pleite standen. Nun sah Monti sich vor der Alternative, den europäischen Fiskalpakt in die Tat umzusetzen oder sich bei seinen Unternehmern unbeliebt zu machen. Die Wahl fiel ihm leicht: Er brüskierte Europa und brach sein Versprechen – aber mit hochmoralischer Motivation: Ich kann meine Lieferanten nicht im Regen stehen lassen.
Die Täuschung bestand darin, dass er das Nächstliegende verschwieg. Wenn der italienische Staat bei seinen Lieferanten säumiger Zahler ist, so sind die italienischen Bürger offensichtlich säumige Steuerzahler beim Staat. Statt für eine bessere Steuermoral zu sorgen und fällige Steuern auch einzutreiben, zog er es vor, für seine ausstehenden Rechnungen neue Schulden aufzunehmen, wohl wissend, wer für sie letzten Ende bezahlen würde. So hatte der hochgelobte Mario Monti den Fiskalpakt, kaum dass er beschlossen war, bereits gebrochen. Sein anfängliches Versprechen wurde in Deutschland als Durchbruch gefeiert. Nach dem späteren Wortbruch krähte kein Hahn. Als Brüssel im Juni 2013 das Defizitverfahren gegen Italien einstellte, obwohl das Land mit 127 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt nach Griechenland die zweithöchste Staatsschuld in der EU aufwies, schrieb die FAZ : »Brüssel behandelt Defizitsünder großzügig.« Schon bald nachdem er unterzeichnet worden war, hatte ich am Ende einer hart aber fair -Sendung gesagt, man könne den Fiskalpakt »in der Pfeife rauchen«. Die unmittelbar danach auftretende Tagesthemen -Moderatorin Caren Miosga war darüber offensichtlich so erschrocken, dass sie diese Aussage mit ungläubig-überraschtem Gesichtsausdruck einfach wiederholte. Heute würde sie sich nicht mehr erschrecken. Dass der Fiskalpakt das Schicksal des Maastricht-Vertrages erlitten hat, ist inzwischen allgemein bekannt.
Das nach Aussage der Bundesregierung wichtigste Element des Fiskalpakts war die verfassungsmäßig verankerte Schuldenbremse. Eine Frage, die ich mir schon immer gestellt hatte, war: Warum verschulden sich eigentlich Demokratien? Meine Ant wort: Weil es für Politiker der einfachste Weg ist, wiedergewählt zu werden. Man teilt Wohltaten aus, verspricht das Blaue vom Himmel, für das die Banken schon geradestehen werden, und bleibt im Amt – das höchste Ziel, für das ein Politiker lebt. Dass er damit die Schulden zukünftigen Generationen und zuvor schon den Politikern, die ihm nachfolgen, auf die Schultern lädt, ohne dass diese sich wehren können, kümmert ihn anscheinend nicht. Je mehr man gegen die Nachkommen frevelt, umso mehr scheint das eigentliche Credo der Mandatsträger zu sein: Nach uns die Sintflut.
Dieser Mechanismus des Erfolgs auf Kosten der Zukunft ist als spezifische Schwäche aller Demokratien unübersehbar. Der eine profitiert, der andere haftet. Und dieses Problem, so scheint es, lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Eine Möglichkeit, so glaubte ich einmal, biete das Familienwahlrecht, wie es Altbundespräsident Roman Herzog vorgeschlagen hat, bei dem die Eltern auch für ihre Kinder – die Zahler der Zukunft – eine Stimme abgeben könnten. Ob diese Regelung das Problem wirklich gelöst hätte, bezweifle ich heute.
In den Demokratien kommt Verschuldung zwangsläufig, weil Politiker wiedergewählt werden wollen. Auch der Konvent für Deutschland, dem ich angehöre, hat sich darüber Gedanken gemacht, wie man dem Dilemma abhelfen könnte. In der sogenannten Föderalismusreform II versuchten wir, der Politik ein neues System des Länderfinanzausgleichs nahezulegen. Statt der Subventionierung von immer mehr
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