Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
Kanzlerrunden in Bonn eingeladen waren, saß er immer direkt neben dem CDU -Chef. Dank Blüms wortreichem Einsatz konnte Kohl die Renten- und Arbeitsreform jahrelang blockieren – und diejenigen, die sich für Reformen einsetzten, von der Bildfläche verschwinden lassen. Sein Einfluss, der 16 Jahre währte, war so groß, dass er schon lange vor Merkel die CDU auf sozialdemokratischen Kurs brachte.
Graf Lambsdorff war Blüms Gegenpol und damit auch die große Hoffnung der deutschen Unternehmer. Er war überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, und zugleich wusste er, wie man eine große Volkswirtschaft in Fahrt bringt. Übrigens war er es gewesen, der 1982 mit seinen im sogenannten Lambsdorff-Papier zusammengefassten Reformvorschlägen den Wechsel seiner Partei von der SPD zur CDU / CSU eingeleitet hatte. Ich erwähnte bereits den Stern -Titel, der den FDP -Parteivorsitzenden Genscher mit gespaltener Zunge zeigte. Dem »Marktgrafen« konnte man derlei nicht nachsagen, er ist seiner Linie immer treu geblieben.
Nicht so die FDP . Wie erwähnt, berief sie sich in der Diskussion um den ESM auf eine angebliche Tradition Genscher-Lambsdorff, um ihren Wackelkurs zu rechtfertigen. Nun konnte Graf Lambsdorff sich nicht mehr zur Wehr setzen, er war 2009 gestorben. Aber mir erschien es ziemlich dreist, den erklärten Gegner des Euro als Kronzeugen für die Euro-Rettung zu missbrauchen, und sei es auch nur indirekt.
Noch dreister fand ich die Verbindung Genscher-Lambsdorff. Für mich ist Genscher der Erfinder des »Genscherismus«, in dem das Diplomatische immer den Vorrang vor dem Ehrlichen, das Leisetreten vor der Selbstbehauptung hatte. Es ist die Kunst des Lavierens, des Um-den-heißen-Brei-Redens, des Es-jedem-recht-machen-Wollens – kurz, der unbegrenzten Anpassungsfähigkeit, bei der eigene Interessen zugunsten der Ziele des jeweiligen Gegenübers geopfert werden.
Dass dies hinterher als großer Sieg der Vernunft, des Humanismus und der Völkerverständigung verkauft wird, gehört auch zum Genscherismus. Und, nicht zu vergessen, die seltene Fähigkeit des Strippenziehens, des Hinter-den-Kulissen-Wirkens und der verborgenen Einfädelung von Bündnissen. Ich behaupte nicht, dass sich der Ehrenvorsitzende der FDP in allem von dieser Neigung zur Geheimdiplomatie leiten ließ, aber diese fragwürdigen Zwischentöne lassen sich für mich unter dem Begriff »Genscherismus« zusammenfassen.
Nach allem, was ich über Graf Lambsdorff gesagt habe, brauche ich nicht zu betonen, dass er als Charakter das genaue Gegenteil darstellte, wie auch sein geradliniges und Konflikte nicht scheuendes Verhalten scharf mit dem Genscherismus kontrastierte. Genschers forciertes Entgegenkommen gegenüber den Ostblockländern, das von Egon Bahr als »Wandel durch Annäherung« bezeichnet wurde, erschien mir immer als »Wandel durch Anbiederung«. Wie viel konnten politische Erfolge wert sein, so fragte ich mich oft, die mit der Aufgabe freiheitlicher Positionen und deutscher Interessen erkauft wurden?
Dass Hans-Dietrich Genscher über Jahre hinweg der beliebteste deutsche Politiker war, dürfte als besonderer Ansporn zur Nachahmung gewirkt haben. Als Genscher noch Außenminister war, hatten meine amerikanischen Freunde keine sonderlich gute Meinung von ihm. Ich glaube, dass sie es waren, die das Wort vom Genscherismus geprägt haben. Ihnen war aufgefallen, dass der deutsche Außenminister die meiste Zeit mit Hin- und Herfliegen zwischen verfeindeten Parteien wie den Israelis und den Palästinensern verbrachte, und sich dabei zu Hause als großer Friedensbringer feiern ließ. In Wahrheit hat seine fotogene Reisediplomatie politisch nichts gebracht, dafür riesiges Ansehen beim deutschen Wähler.
Damals kursierte der Witz, Genscher flöge so häufig zwischen Berlin und dem Nahen Osten hin- und her, dass er sich einmal selbst begegnet sei. Heute setzt der deutsche Außenminister diese Tradition fort. Genscher und seine Philosophie wurden zum großen Vorbild für seinen Nachfolger als FDP -Star, Guido Westerwelle. Auch er will überall Frieden bringen, selbst wenn er, wie im Fall Libyen, die eigenen Verbündeten vor den Kopf stößt, weil er statt mit ihnen mit China und Russland abstimmt. Wenn irgendwo ein Konflikt ausbricht, spult Guido Westerwelle mit seltsam maskenhafter, todernster Miene seine Friedenslitanei ab, die längst zur sinnentleerten Pflichtübung verkommen ist, weshalb auch niemand auf sie hört – außer der Tagesschau
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