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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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besuchte sie der Florentiner Humanist Giovanni Montefiore. Ihr habt sicher schon von ihm gehört.« Als ich nickte, fuhr er fort: »Bis vor einer Stunde war Celestina der Meinung, Montefiore sei für das Attentat auf sie verantwortlich gewesen. Aber er hatte die Assassini nicht geschickt. Er kam von Florenz nach Venedig, um sie um Vergebung zu bitten, weil er sie als gelehrte Humanistin diffamiert und als Frau gedemütigt hatte. Celestina ist zusammengebrochen.«
    »Ich gehe zu ihr.«
    »Elija!« Er hielt mich am Ärmel fest. »Sie liebt Euch.«
    Als ich nickte, fragte er:
    »Liebt Ihr sie auch?«
    »Ja, Menandros, ich liebe sie.«
    Hoffnungslos senkte er den Blick und wandte sich ab.
    Ich ging hinüber zur Treppe, um zu Celestinas Bibliothek hinaufzusteigen – und blieb erstaunt stehen. Die Stufen waren bedeckt mit Hunderten roten Rosenblüten.
    Hatte Tristan sie ihr geschenkt?
    Langsam stieg ich die Stufen empor in den zweiten Stock. Die Tür der Bibliothek war geschlossen.
    Um sie nicht zu erschrecken, trat ich leise in den Raum.
    Celestina stand am Bücherregal und zog drei schwere Folianten auf einmal heraus, die sie in eine Truhe warf. Dann zerrte sie zwei weitere Bücher hervor. Neben dem Schreibtisch standen drei Bücherkisten, deren Deckel bereits geschlossen waren. Ihr Manuskript war vom Schreibtisch verschwunden – vermutlich befand es sich in einer der bereits gepackten Truhen.
    »Glaubst du, du kannst dein Leben schützen, indem du nach Rom fliehst?«
    Sie fuhr herum, presste die Bücher gegen ihre Brust und blickte mich erschrocken an.
    »Nein«, erwiderte sie. »Aber ich kann dein Leben schützen.«
    Sie warf die Folianten in die Truhe und wandte sich wieder dem Regal zu.
    Ich trat einen Schritt näher und legte die mitgebrachten Bücher zu den anderen: Shemtovs Prüfstein und die griechischen Evangelien mit dem aramäischen Papyrus.
    »Was soll das?«, fragte sie irritiert.
    »Ich gehe mit dir.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde nach Rom reisen und Gianni bitten, mich eine Weile im Vatikan wohnen zu lassen.«
    Sie holte die Bücher aus der Kiste, legte sie auf ihren Schreibtisch und wandte sich erneut dem Regal zu, um weiterzupacken.
    Ich trat neben sie, nahm ihr die Bücher aus den zitternden Händen und stellte sie zurück. Dann umarmte ich sie und hielt sie fest. Sie wehrte sich nicht.
    »Wo du bist, werde ich sein«, flüsterte ich und küsste sie. »Wenn ich es mir recht überlege, wäre Rom ein angemessener Ort, um Das verlorene Paradies zu erschaffen. Glaubst du, Gianni würde uns beide im Vatikan wohnen lassen?«
    Sie barg ihr Gesicht an meiner Schulter. »Ich will nicht gehen«, flüsterte sie heiser.
    »Dann geh nicht.«
    »Elija, ich habe furchtbare Angst.«
    »Ich auch. Ich würde wieder tot sein ohne dich, ohne Hoffnung und ohne Liebe. Bitte verlass mich nicht!«

    Sie hat das Licht in ihren Augen, dachte ich, als ich sie still betrachtete. Ein wundervolles Strahlen liegt auf ihrem Gesicht, ein Widerschein ihrer mitreißenden Freude. Ein versonnenes Lächeln umspielt ihre Lippen – ein Lächeln, das mich in meiner Seele berührt. Ist sie glücklich?
    Sie neigte den Kopf, als sie sich in die Übersetzung des aramäischen Papyrus vertiefte und den Text der Bergpredigt immer wieder las. Eine Hand strich zärtlich über die arabische Schrift, die andere spielte mit der Schreibfeder, die sie sich an die Lippen hielt, als wäre sie eine duftende Blüte.
    Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und beobachtete sie.
    Wer war der Freund, der ihr die Rosenblüten schenkte? Wer war der Liebende, der ihr den Weg zu sich mit duftenden Blüten schmückte? Hatte Tristan in dieser Nacht auf sie gewartet? Liebte er sie? Und … liebte sie ihn?
    War diese Liebe eines von jenen dunklen Geheimnissen, die Celestina mir nicht anvertrauen wollte?
    Da wand sie sich heraus aus dem Text, nahm das Blatt, barg ihr Gesicht darin und atmete tief den Duft der Worte ein. Einen Herzschlag lang verharrte sie so, dann ließ sie es sinken und sah mich an. »Elija, das ist wundervoll! Als ich mich eben in die Übersetzung vertiefte, konnte ich dein Ringen mit dem Wort und dem Sinn erahnen, mit dem Verstand und dem Herzen, mit dem Wissen und dem Glauben.
    Als ich die Seligpreisungen las, ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass Jesus nicht auf einen Berg stieg, sondern auf den Berg – im symbolischen Sinne den Berg Sinai, den auch Moses bestieg. Beide erklommen den Berg und verkündeten ihre Lehre. Einem

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