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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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verloren. Ich habe ihn für immer verloren. Das wird er mir nie vergeben.«
    Tristan schwieg.
    »In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so einsam gefühlt wie jetzt. Nicht als mein Vater in der Schlacht fiel, nicht als meine Mutter an der Pest starb, nicht als ich nach Athen fliehen musste. Ich bin ganz allein in diesem großen, eisig kalten Haus«, stieß ich atemlos hervor. »Menandros ist tot! Ich vermisse ihn so sehr!
    Er war immer für mich da. Wie oft hat er nachts neben mir im Bett gelegen und mich zärtlich liebkost. Er dachte immer, ich würde schlafen und es nicht merken. Aber ich habe es genossen, wie sehr er mich liebte. Manchmal stand er hinter der offenen Tür und hat uns zugesehen, wenn wir uns geliebt haben.
    Wie sehr er sich nach Liebe und Geborgenheit gesehnt hat! Und nun ist er tot! Menandros ist gestorben. Elija droht die Todesstrafe. Und dich habe ich auch verloren!«
    Er küsste mich zärtlich und strich mir über das zerwühlte Haar. »Du hast mich nicht verloren.«
    Ein Schmerz durchzuckte meinen Bauch. Die Bewegung des Kindes verschlug mir den Atem.
    »Was ist los?«, fragte Tristan besorgt.
    »Netanja bewegt sich. Er ist ein sehr lebhaftes Kind.«
    Tristan zog die Bettdecke fort und strich mit beiden Händen über meinen gewölbten Leib. »Ja, ich kann es fühlen. Netanja hat das Temperament seines Vaters.« Er legte das Gesicht auf meinen Bauch. »Wie sehr wünschte ich, er wäre mein Sohn«, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
    Tröstend strich ich ihm über das Haar.
    »Wir beide waren so glücklich!«, seufzte er. »Ich liebe dich.«
    In seinen Armen fühlte ich mich geborgen. Tristan liebte mich – gleichgültig, was ich getan hatte.
    In dieser Winternacht wärmte mich ein kleiner Funken Glück.

    Das Kaminfeuer war schon vor Stunden erloschen, und es war kalt, als ich aus dem Schlaf hochschrak.
    War da nicht ein Geräusch gewesen?
    Fest in die Decke gewickelt, lag Tristan neben mir und schlief.
    Schritte auf der Treppe!
    Dann wurde die Schlafzimmertür aufgerissen.
    »David!«
    Ich setzte mich im Bett auf und zog die Decke um mich, während David sich mit einer flackernden Kerze in der Hand auf den Bettrand sinken ließ.
    »Celestina!«, keuchte er noch ganz außer Atem. »Elija hat sich entschieden! Er will mit Tristan sprechen, bevor in zwei Stunden die Prozesssitzung beginnt. Ich bin zur Ca’ Venier gerudert, um ihn zu holen, aber er war nicht dort. Sein Diener sagte mir, er wäre bei dir. Weißt du, wo er …«
    Im Kerzenschein erkannte er Tristan in den Kissen neben mir.
    »Ich bin hier«, sagte Tristan und richtete sich auf.
    Davids Blick irrte von ihm zu mir. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Schweigend erhob er sich und wandte sich ab, als Tristan aus dem Bett sprang und sich ankleidete.

    Ich klammerte mich an die Feder in meiner Hand, wie sich ein Ertrinkender an den Planken des sinkenden Schiffes festhält.
    Mit angezogenen Beinen saß ich auf einem Sessel am wärmenden Kaminfeuer in meinem Arbeitszimmer und starrte in die Flammen. Auf den Knien hielt ich ein Stück Papier – die Rückseite einer verworfenen Seite aus dem Königreich der Himmel –, und meine Finger zerknickten beinahe die Feder.
    »Elija hat sich entschieden!«, hatte David gesagt.
    Aber wie hatte er sich entschieden?
    Würde er um sein Leben kämpfen?
    Oder als Märtyrer sterben?
    ›Dies ist mein Blut, das für viele vergossen wird‹, hatte er mit seinem Blut an die Wand seiner Zelle geschrieben.
    Ich starrte ins Feuer.
    Bitte, Elija, bitte entscheide dich für das Leben! Stirb nicht! Denn wem nützt dein Tod? Was würde dein Martyrium verändern? Nichts! Das hat doch nicht einmal Jeschua am Kreuz vollbracht! Die Welt ist seither nicht gerechter oder friedlicher geworden.
    Nimm deinen Tod nicht hin, Elija, sondern kämpfe um dein Leben! Entscheide dich für das Leben, die Freiheit, die Liebe und das Glück! Entscheide dich für mich!
    Eine Weile starrte ich in die Flammen, dann fügte ich der Liste auf meinen Knien einen weiteren Herzenswunsch hinzu.
    Ich wollte Elija in San Marco heiraten. Danach würden wir für einige Wochen nach Rom reisen, wo wir während des Sommers so glücklich gewesen waren.
    Diese Liste enthielt den ganzen Rest unseres Lebens – all die schönen Dinge, die ich mit Elija noch tun wollte, wenn er sich für den Kampf um sein Leben und seine Freiheit entschied.
    Wir konnten nach Israel reisen, Jerusalem sehen, Kafarnaum, die Stadt Jeschuas, und

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