Die Evangelistin
Lächeln ab.
»Wen Gott liebt, den lässt Er leiden – so heißt es. Dich liebt Gott über alle Maßen! Er hat dir alles wiedergegeben, was Er dir in Córdoba genommen hatte: eine Frau, die du mehr als alles andere auf der Welt liebst, und einen wundervollen Sohn. Masel tow, Elija, masel tow! Genieße die Freuden der Liebe, den Segen der Vaterschaft und werde endlich glücklich!«
»Die Zeit der Leiden ist vorbei, Elija!«, hatte auch David gesagt. »Gott will es so!«
Wie konnten wir denn ahnen, dass die Zeit der Leiden noch lange nicht vorbei war und dass mein Glück der Anlass für das furchtbare Unglück meines Bruders sein würde, dieses ›gottverdammten Juden‹, dieses ›unbußfertigen Christusmörders‹, der sich nicht – wie ich – zum Wahren Glauben bekehren ließ!
Gott liebte David, wie er Ijob geliebt hatte, denn wenige Wochen später verlor mein Bruder alles, was ihm lieb war – am Ende sogar seinen Glauben an die Gerechtigkeit Gottes.
In diesem Jahr wurde der Karneval in Venedig wegen des andauernden Krieges und der wirtschaftlichen Not besonders ausgelassen gefeiert. Seit dem 26. Dezember, dem ersten Tag des Mummenschanzes, tanzten fröhlich singende und lärmende Masken auf der Piazza San Marco, aber auch vor unserem Haus auf dem Campo San Stefano.
Celestina und ich hatten großen Spaß, als wir uns in unsere kostbaren Gewänder kleideten, die Samtmasken aufsetzten und Arm in Arm durch Venedig flanierten – für mich war es das erste Mal, dass ich mich vermummte, denn Juden war es streng verboten, mit den Christen Karneval zu feiern. Es war ein herrliches Vergnügen!
Wie Celestina hatten sich viele Frauen als Männer verkleidet. Sie war ein junger spanischer Hidalgo mit einer perlenbestickten, pfauenblauen Atlasjacke, einer engen Hose, langen Reitstiefeln, die ihre schlanken Beine noch betonten, und einem blitzenden Degen am Gürtel. Die kostbare Klinge hatte Tristan ihr geliehen – der Degen war ein Geschenk des Königs von Frankreich, als Tristan in der Schlacht von Marignano verwundet worden war.
Andere Frauen wiederum hatten ihre Reize nur durch eine schwarze Samtmaske verhüllt, die Haare und Haut nicht vollständig bedeckte. Die trotz der winterlichen Kälte tiefen Ausschnitte ihrer Kleider überließen nur wenig der Fantasie des Betrachters.
Wie viele eindeutige Angebote mir zugeflüstert wurden, mit einer der jungen Madonnen die Nacht in ihrem Bett zu verbringen! Und wenn nicht bis zum Morgengrauen, dann doch wenigstens eine Stunde, eine halbe? Einige der liebestollen Frauen traten absichtlich auf die Schleppe meiner purpurfarbenen Soutane und ergriffen meine Hand, um mich mit sich fortzuziehen: »Kommt mit mir, Euer Eminenz!« Meine Maske als Kardinal schien eine erotisierende Wirkung auf sie zu haben.
Der Karneval war eine Zeit überschäumender Lebensfreude, ausgelassener Feiern und sinnlicher Lustbarkeiten. Die Venezianer feierten die pure Freude am Leben!
Ein Höhepunkt der Narrentage war der Giovedi Grasso, der Fette Donnerstag, der vor allem auf der Piazzetta gefeiert wurde. Von einem hohen hölzernen Turm, der wie eine Kathedrale en miniature vor dem Palazzo Ducale in den Himmel ragte, war ein straffes Seil bis zu den Säulen der Loggia im ersten Stock gespannt. Ein verwegener Arbeiter des Arsenale kletterte und rutschte an dieser Seilkonstruktion vom Turm zur Loggia und überreichte dem dort wartenden Dogen einen Blumenstrauß. Seine tollkühn inszenierten Abstürze – er konnte sich natürlich immer im allerletzten Augenblick retten! – hielt die gebannt zu ihm hinaufstarrende Menge in Atem.
Tristan sahen wir nur von weitem auf der Loggia: In seiner prächtigen schwarzen Seidenrobe stand er neben dem Dogen und den anderen Senatoren und Würdenträgern der Republik. Aber nach dem Tanz der Moriscos, einer getanzten Schlacht zwischen farbenprächtig gekleideten Mauren und Christen, die am Abend mit einem grandiosen Feuerwerk über der Lagune endete, kam er in die Ca’ Tron, um mit uns zu Abend zu essen und sein Patenkind zu sehen – er war ganz vernarrt in den kleinen Netanja.
Ich war sicher, dass Tristan sich wie ein zweiter Vater um meinen Sohn kümmern würde, falls mir etwas zustoßen sollte. Nach wie vor fürchtete ich einen Anschlag von Kardinal Cisneros – Fray Santángel war nach dem Mord an Menandros nie gefasst worden.
Nach meiner Konvertierung erhielten Celestina und ich regelmäßig Einladungen in den Palazzo Ducale, um nach der Sonntagsmesse in
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