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Die ewige Bibliothek

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Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Er fragte sich allerdings, warum ihn ausgerechnet jetzt die Erinnerung an jenen Augenblick mit einem seltsamen Gefühl der Vorahnung erfüllte.
    Michael reckte seinen Kopf aus der Schlange und überlegte, wann man mit dem Einlass beginnen werde, als er sah, wie sich vom anderen Ende der Straße ein eleganter, gut gekleideter Mann näherte, dessen Haltung und Auftreten in krassem Gegensatz zu seiner Umgebung standen. Er trug förmliche Abendkleidung, mit einem hohen, gestärkten Kragen und einem dunklen Trenchcoat, der vermutlich mehr gekostet hatte, als das Jahreseinkommen jeder Person betrug, an der er vorbeiging. Es war nicht allein seine Kleidung, die ihn abhob – schließlich befand man sich in Wien, und viele der Passanten hatten sich in Schale geworfen –, sondern ebenso die Art, wie er ging, als würde sich hinter ihm ein Umhang aufbauschen, der dafür sorgte, dass ihn jedermann bemerkte.
    Er blieb kurz am Eingang stehen und blickte nach links und rechts. Dann drehte er sich in Michaels Richtung und ging die Schlange entlang auf ihn zu. Als er näher kam, trafen sich ihre Blicke, und er schien dabei etwas zu bemerken, das ihn inne halten ließ.
    »Entschuldigung«, sagte Michael freundlich, »kennen wir uns?«
    Der Mann zögerte leicht, als sei er es nicht gewohnt, nicht sofort erkannt zu werden. »Ich nehme es an. Ich bin Mikaal Gunnar-Galen, Vizerektor an der Universität.«
    »Natürlich, natürlich«, sagte Michael, schlug sich gegen die Stirn und streckte die Hand aus. »Michael Langbein. Es tut mir Leid, dass ich Sie nicht erkannt habe – ich schätze, ich bin einer von den Dozenten, denen es genügt, innerhalb der Grenzen ihres eigenen Rattennests zu bleiben.«
    »In der Tat«, sagte Galen. »Welche Ironie, dass wir uns heute Abend begegnen, wenn man bedenkt, dass ich just an diesem Nachmittag eine Menge Zeit in der Erwartung verbracht habe, Sie zu treffen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Schon gut«, sagte Galen. »Was hat Sie an diesem Abend aus dem Haus gelockt?«, fragte er, und musterte die noch immer unbewegliche und weiter wachsende Schlange. »Ein Spaziergang? Oder treffen Sie vielleicht Freunde zum Abendessen?«
    »Nein«, sagte Michael. »Ich bin heute Abend allein unterwegs. Und ich vermute, ich werde mir irgend eine Vorstellung ansehen, wenn man uns jemals einlässt.«
    »Mmm. Verzeihen Sie meine Vermessenheit, Professor, aber diese Sorte von Veranstaltung, an einem solchen Ort, sieht mir nicht gerade nach Ihrer Art von Entspannung aus.«
    »Ich wurde eingeladen.«
    »Genau wie ich. Das Ganze hat nicht zufällig etwas mit ›einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit, im akademischen wie historischen Sinne‹ zu tun?«
    Michael starrte ihn mit offenem Mund an. »Woher wissen Sie…?«
    Galen hielt einen pflaumenfarbenen Umschlag hoch, der mit jenem identisch war, den Michael erhalten hatte.
    »Nun«, sagte Michael schicksalsergeben, »ich frage mich, in welcher Klemme unser rätselhafter Gastgeber sitzt, dass er die Unterstützung eines Professors für Ältere Literatur benötigt und die eines… Was war es gleich, das sie unterrichten?«
    Die Andeutung eines finsteren Blicks glitt über Galens Gesicht, bevor er antwortete: »Musiktheorie. Aber unser Gastgeber ist nicht ganz so rätselhaft.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Lesen Sie den Handzettel«, sagte Galen und reichte ihm ein gelbes Blatt, das mit auffälliger schwarzer Schrift bedeckt war. »Er ist Zen-Illusionist, was immer das sein mag. Er nennt sich Obskuro.«
     

     
    Die dünne Schicht Sägemehl, die den Boden bedeckte, war ein erstes Anzeichen dafür, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Nachtclub handelte – eine Schlussfolgerung, die sich bestätigte, wenn man einen Blick auf die Speisekarte warf, die die Größe einer Boulevardzeitung hatte und das Bildnis eines fröhlichen Mexikaners mit einem Sombrero auf der Vorderseite trug, auch wenn nichts auf der Speisekarte im Entferntesten als mexikanisch zu bezeichnen war. Das Angebot schien hauptsächlich aus alkoholischen Getränken ungewisser Herkunft sowie Wiener Gebäck zu bestehen, und – der Kartenrückseite zufolge – aus verschiedenen Körperpflege- und Hygieneprodukten.
    Nach einer scheinbar endlosen Wartezeit wurden schließlich die Leute eingelassen. Michael und Galen zeigten einem mürrischen, bärtigen Mann mit dunklem Teint und tiefsitzendem Hut ihre Eintrittskarten und betraten den Hauptraum durch einen mit Vorhängen abgetrennten Eingangsbereich. Es gab

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