Die ewige Bibliothek
sich überschwänglich für das Geld, doch Galen nahm ihn gar nicht mehr wahr. Ebenso wenig bemerkte er, dass die Schallplatte abgelaufen war und das Knistern der Auslaufrille im Zimmer widerhallte. Er starrte voller Ehrfurcht und Ungläubigkeit auf den Handzettel, und sein Gesicht zeigte heftigste Verwirrung.
Den Zettel zierte ein Name, von dem er schon gehört hatte, wenn auch nicht in diesem Zusammenhang, und die entsprechende Person machte alles nur noch rätselhafter, stellte sie doch selbst ein Rätsel dar, seit sie Galen bekannt war. Soweit er wusste, hatte diese Person keinen Grund, ihn in einen Nachtclub einzuladen, geschweige denn, ihn mit Rektor anzureden. Dennoch war diese Verkettung von Ereignissen so faszinierend, dass Galen ernsthaft darüber nachdachte, an der Veranstaltung teilzunehmen. Er warf einen Blick auf die Kaminuhr und stellte fest, dass er immer noch genug Zeit hatte, zu Fuß zu dem Club zu gehen. Wenn er die Sache allerdings ganz umgehen wollte, würde die Verlockung innerhalb weniger Stunden vorbei sein und er hätte sich erspart, wozu auch immer man ihn einlud. Doch ebenso verpasste er die Gelegenheit, mit jener Person zu sprechen, die möglicherweise darüber Bescheid wusste, dass er Rektor werden wollte. Und diese Angelegenheit sollte vielleicht am besten so schnell wie möglich geklärt werden.
Galen starrte lange aus dem Fenster, wandte sich dann wie unter Zwang seinem polierten Mahagoni-Schreibtisch zu und betrachtete die Briefkarte.
Plötzlich wirbelte er in einer einzigen heftigen Bewegung herum und riss sie vom Schreibtisch. Er stopfte die Einladung und die Eintrittskarte in die Innentasche eines Überwurfs und eilte zur Tür hinaus.
KAPITEL DREI
Im Kabinett des Magiers
Rutland & Burlington’s war ein ausgesprochen vielseitiger Nachtclub. Er lag mitten in einem Restaurantviertel, das von den fast neunzigtausend Studenten der Universität frequentiert wurde. Von außen wirkte er eher unauffällig, und es existierte kein Namensschild. Dennoch wartete draußen eine erstaunlich lange Schlange von Gästen.
Michael erreichte den Club um Viertel nach acht, fünfzehn Minuten vor dem angegebenen Veranstaltungsbeginn, und stellte sich an. Das übliche Studentenpublikum drängte sich auf dem Kopfsteinpflaster des Gehsteigs und inhalierte oder schluckte heimlich das, was man im weitesten Sinne als »bewusstseinserweiternde Mittel« beschreiben konnte. Michael erkannte die Joints am Geruch, doch die meisten Tabletten konnte er beim besten Willen nicht identifizieren. Als er vor Jahren einmal im Rahmen eines Lehreraustauschs mehrere Monate durch die Vereinigten Staaten gereist war, hatte er in Albuquerque zur Untermiete bei einem Künstler namens Mike Bomba gewohnt. Bomba war ein lebenslustiger Typ und im allgemeinen das, was man von einem erstklassigen Mitbewohner erwartete: Er war sauber, rücksichtsvoll und hatte nicht die Angewohnheit, nackt in der Wohnung herumzulaufen. Außerdem war er ein begeisterter Kinogänger und schleppte Michael mit, so oft er ihn nur dazu bewegen konnte. Als sie sich das erste Mal zusammen einen Film ansahen, blieb Bomba einen Augenblick lang allein im Auto sitzen und stieg dann mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht aus. Er erklärte, dass er lediglich ein »filmerweiterndes Mittel« zu sich genommen habe, und aus Besorgnis, seinen Mitbewohner beleidigt zu haben, bot er Michael den noch immer glimmenden Joint an.
Michael hatte schon in jungen Jahren herausgefunden, dass er auf jede Art von Rauschgift überempfindlich reagierte, und dass allein der Geruch von Gras genügte, um ihm zuerst ein leichtes Schwirren und dann dröhnende Kopfschmerzen zu verursachen. Allerdings spielte Sylvester Stallone die Hauptrolle in dem Film, den sie sich anschauen wollten, und das bedeutete, es würde ihm bestenfalls so vorkommen, als hätten sie sich einen Kurosawa angesehen, und schlimmstenfalls hätte er dröhnende Kopfschmerzen, was bei einem Stallone-Film ohnehin mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit eintrat. Er führte den Joint an den Mund und nahm einen langen, tiefen Zug.
Noch Stunden nach dem Film saß er mit Bomba auf dem leeren Parkplatz im Auto. Tränen flossen in Strömen über ihre Gesichter. »Mann«, sagte Bomba, »ich hab nicht gewusst, dass Stallone so schön sein kann.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Michael. »Er ist wunderschön, so wunderschön… Hee – was ist mit meinen Daumen passiert?«
Seither hatte er nie wieder Gras geraucht.
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