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Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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und in Europa existieren ein paar vorzügliche private Sammlungen. In Amerika gibt es das Huntington, aber die Art Sammlung, von der Sie sprechen… Ist es die Bibliothek von Alexandria?«
    »Durch glückliche Umstände erhalten und erweitert?«, fragte Juda und schüttelte den Kopf. »Nein, ich fürchte, sie wäre zu klein für diesen Zweck – und ganz davon abgesehen ist sie eher Mythos als Geschichte. Ich spreche von etwas weniger Auffälligem und weit weniger Berüchtigtem. Um die Stabilität zu gewährleisten, die notwendig ist, um ihr Werk vor den tektonischen Spannungen der Welt zu schützen, müsste eine solche Bibliothek an einem Ort errichtet werden, an dem die Linien von Mythos, Geschichte und Religion an einem Nullpunkt zusammenlaufen.«
    »Shangri-La«, sagte Michael.
    »Na, klar doch«, sagte Galen, verdrehte die Augen und schob seinen Kiefer vor.
    »Er hat Recht«, sagte Juda, sehr zum Erstaunen seiner Zuhörer und selbst nicht wenig überrascht. »Nicht direkt das Shangri-La aus dem Roman von Hilton, sondern ein verborgenes… Kloster, fast so wie Shangri-La beschrieben wird.«
    Ohne Überzeugung warf Galen Michael einen gleichermaßen fragenden und verzweifelten Blick zu – ein Ausdruck, der Michael nicht fremd war. »War das ein Schuss ins Blaue oder war Shangri-La eine wohl durchdachte Antwort?«
    »Sowohl als auch«, sagte Michael, stellte seinen Kaffee ab und beugte sich über den kleinen Tisch, auf dem das Buch lag. »Sprache und Buchstabenform sind zwar alt-isländisch, aber das Manuskript ist gedruckt und nicht niedergeschrieben worden. Soweit ich das beurteilen kann, wurde es in Tibet gedruckt.« Er sagte das mit so offener und klarer Kompetenz, dass die anderen nicht widersprachen, sondern sich nur in ihren Sitzen zurücklehnten – Juda mit einem schmalen Lächeln und Galen mit einem respektvollen, neugierigen Blick. Michael Langbein mochte manchmal ein wenig zerstreut wirken, doch jemand, der nach einer flüchtigen Untersuchung solch definitive Urteile fällen konnte, war entweder ein Genie oder ein Irrer, und Galen neigte nicht zur letzteren Annahme.
    Michael wertete ihr Schweigen als Anerkennung seiner Sachkenntnis und fuhr fort. »Nehmen Sie die Buchstaben selbst: Sie entsprechen beinahe – wenn auch nicht ganz – den Standardformen des Isländischen. Hier tragen sie Merkmale einer tibetanischen Schriftform, die im Holzblockdruck verwendet und als Buchstaben ›mit Kopf‹ bezeichnet wird, das heißt mit einem Deckstrich. Sie wurde von den Tibetanern auf der Grundlage indischer Alphabete und Buchstabenformen entwickelt. Das Papier ist ein weiterer Hinweis – tibetanische Papierherstellung ist eine Kunst, die von den Chinesen abgeschaut wurde. Tibetanisches Papier wird direkt aus Wurzel- und Pflanzenfasern hergestellt, die wiederum hauptsächlich aus Weidenrinde gewonnen werden. Diese wird eingeweicht, einige Tage lang zerstoßen, pulverisiert und dann auf einem Stück Stoff ausgestreut, das über einen Holzrahmen gespannt ist. Wenn diese Mischung nach einigen Tagen an der Sonne getrocknet ist, kann man das fertige Papier zurechtschneiden.«
    »Ohne Ihre Fähigkeiten anzweifeln zu wollen«, sagte Galen, »aber meinen Sie nicht, dass das ohne chemische Analyse eine etwas überstürzte Annahme ist?«
    »Es gibt eine Möglichkeit, das zweifelsfrei festzustellen«, sagte Michael. Er blätterte die Seiten durch, bis er an der oberen Kante, neben dem Text, ein loses Stück Pergament fand. Er zupfte es ab, sorgfältig darauf bedacht, die Seite nicht einzureißen, und steckte sich den Schnipsel in den Mund.
    Juda und Galen sahen einander an – völlig ratlos, wohin das führen sollte.
    Michael ließ das Papier im Mund herumwandern, als würde er einen feinen Wein verkosten, wandte sich dann ab und spuckte auf den Boden.
    »Also wirklich…«, setzte Galen an.
    »Tut mir Leid«, sagte Michael, »es wurde gerade eklig. Zumindest wissen wir jetzt Bescheid – es ist eindeutig tibetanisches Papier.«
    »Und wie haben Sie das festgestellt?«, fragte Juda.
    »Arsen«, antwortete Michael. »Tibetanisches Papier ist robust – es zerfällt nicht so leicht –, und im allgemeinen ist es giftig, weil es für gewöhnlich mit einer arsenähnlichen Substanz behandelt wird, um es vor Schäden durch Schimmel, Pilze oder Insekten zu bewahren. Ich würde sogar darauf wetten, dass jeder von uns, der es in einem geschlossenen Raum zu lange betrachtet, innerhalb kürzester Zeit heftigste Kopfschmerzen

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