Die ewige Prinzessin: Historischer Roman (German Edition)
soll die gesamte Zeremonie vonstatten gehen?
Ich lasse meinen ältesten Freund in England rufen, den Herzog von Buckingham, der mich vor so vielen Jahren in diesem Lande willkommen hieß und nun Lord High Steward geworden ist, der höchste Staatsbeamte. Ich bitte auch Lady Margaret Pole zu mir. Meine Hofdamen bringen mir den schweren Zeremonienwälzer, das »Hofbuch«, das die Verstorbene mit eigener Hand verfasste, und ich mache mich an die Aufgabe, meinen ersten Staatsakt in England auszurichten.
Ich habe Glück: In den Einband des Buches geschoben finde ich drei Seiten mit handschriftlichen Instruktionen. Die eitle alte Dame hat sogar die Prozession für ihr eigenes Begräbnis festgelegt! Lady Margaret und ich staunen über die Anzahl an Bischöfen, die sie für ihr Begängnis wünscht, die Sargträger, Begräbniswärter und Trauergäste. Ferner spezifiziert sie, wie die Straßen geschmückt werden sollen und wie lange die Trauerzeit währen soll. Ich zeige dem Herzog von Buckingham, ihrem einstigen Mündel, die Seiten, und er bewahrt diskretes Schweigen, lächelt und schüttelt den Kopf. Ich verberge meinen hämischen Triumph, nehme die Feder zur Hand, tauche sie in schwarze Tinte, halbiere nahezu die gesamte Zeremonie und gebe dann erste Befehle.
***
Eine stille und würdevolle Zeremonie hatte die spanische Gemahlin des Königs angeordnet. Wer es vorher nicht gewusst hatte, begriff nun, dass die junge Frau, die sieben Jahre auf den englischen Thron gewartet hatte, ihre Zeit nicht verschwendet hatte. Sie kannte das englische Temperament und wusste genau, was sie den Menschen in diesem Lande bieten musste. Sie wusste, was der Hof als stilvoll und was er als schäbig ansah. Und als geborene Prinzessin wusste sie zu befehlen. In jenen Tagen vor ihrer Krönung begründete Catalina ihre Stellung als Herrscherin, und wer sie in den Jahren ihrer Armut geschnitten hatte, entdeckte in sich plötzlich kolossale Zuneigung und Ehrerbietung für die Prinzessin.
Catalina nahm die Huldigungen ihrer unverhofften Bewunderer ebenso entgegen wie vorher deren Vernachlässigung: höflich und gefasst. Sie wusste, dass sie sich mit der Organisation des Begräbnisses für die Königingroßmutter als erste Dame des neuen Hofes etabliert hatte, als Lenkerin aller Entscheidungen des höfischen Lebens. Mit einer einzigen glänzenden Vorstellung hatte sie sich als Herrscherin Englands eingesetzt. Und nach diesem Triumph, so glaubte sie, würde niemand mehr in der Lage sein, sie zu ersetzen.
***
Wir beschließen, die Krönung nicht abzusagen, obwohl das Begräbnis der Königingroßmutter kurz zuvor stattgefunden hat. Die Zeremonie ist bereits festgelegt, und wir finden, dass wir den Londoner Bürgern die Freude nicht verderben dürfen - gar nicht zu reden von den vielen Menschen, die aus ganz England gekommen sind, um zu sehen, wie der junge Harry die Krone seines Vaters aufsetzt. Sogar von Plymouth, so munkelt man, sind manche angereist, die vor so vielen Jahren sahen, wie ich als schüchternes, seekrankes junges Mädchen zum ersten Mal englischen Boden betrat. Wir werden gewiss die große Feier von Harrys Thronbesteigung und meiner Krönung nicht absagen, nur weil eine mürrische alte Dame zur Unzeit gestorben ist. Wir stimmen überein, dass die Menschen ein prächtiges Fest erwarten und dass wir sie nicht enttäuschen dürfen.
In Wahrheit ist es Harry, der keine Enttäuschung ertragen kann: Er hat sich einen großen, glorreichen Moment versprochen und möchte ihn um nichts in der Welt verpassen. Und ganz sicher nicht wegen des Todes einer sehr alten Dame, welche die letzten Jahre ihres Lebens damit verbrachte, ihn an allem Möglichen zu hindern.
Und ich stimme ihm zu. Ich beschließe, dass seine Großmutter ihre gute Zeit hatte und dass nun wir an der Reihe sind. Ich entscheide, dass es der Stimmung des Landes und des Hofes entspricht, Harrys Thronbesteigung mit mir an seiner Seite zu feiern. Tatsächlich ist es für manche, die mich seit Langem lieben, die größte Freude, dass ich nun endlich zu meinem Recht komme. Ich beschließe also - und ich bin die Einzige, die hier beschließt -, dass wir fortfahren wie besprochen. Und das tun wir.
Ich weiß, dass Harrys Trauer um seine Großmutter nicht allzu tief geht: Sie ist hauptsächlich zur Schau getragen. Als ich aus ihrer Kammer kam, wusste er, dass sie tot war. In diesem Augenblick sah ich, wie er die Schultern straffte, als wäre er plötzlich von der Last ihrer
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