Die ewige Prinzessin: Historischer Roman (German Edition)
Fürsorge befreit, als sei ihre dürre Hand mit den Altersflecken wie eine tote Last in seinem Nacken gewesen. Er lächelte, rasch und verstohlen. Er freute sich darüber, jung und lebendig zu sein, während sie gestorben war. Und gleich darauf bemühte er sich, seinem Gesicht den Anstrich geziemender Trauer zu geben, und ich trat mit ebenso ernstem Gesicht auf ihn zu und teilte ihm mit, dass seine Großmutter gestorben war. Ich sprach mit leiser, trauriger Stimme, und er antwortete mir in gleichem Ton.
Es ist gut zu wissen, dass er den Heuchler spielen kann. Der Thronsaal der Alhambra hat viele Türen, und mein Vater pflegte zu sagen, dass ein König fähig sein müsse, zu der einen hinauszugehen und durch die andere wieder hereinzukommen, ohne dass jemand seine Gedanken erraten kann. Ich weiß, in welchem Maße ein Herrscher seine Meinung für sich behalten muss. Noch ist Harry ein Junge, aber eines Tages wird er ein Mann sein; dann muss er sich eine Meinung bilden und Dinge richtig einschätzen können. Und wenn es so weit ist, werde ich mich erinnern, dass er schon in jungen Jahren das Eine sagen und das Andere meinen konnte.
Aber ich habe noch etwas über ihn gelernt: Als ich sah, dass er nicht eine ehrliche Träne um seine Großmutter vergoss, da wusste ich, dass dieser König, unser aller Goldjunge, ein kaltes Herz besitzt, dem man nicht trauen darf. Lady Margaret ist ihm wie eine zweite Mutter gewesen, selbst wenn sie ihn tyrannisiert hat. Sie hat ihn umsorgt, ihn bewacht und ihm Unterricht gegeben. Sie hat stets ein wachsames Auge auf ihn gehabt, sie hat ihm Unerfreuliches erspart, sie hat ihn von Tutoren ferngehalten, die ihm etwas über die Welt hätten beibringen können, und sie erlaubte ihm nur, in den Gärten zu spazieren, die sie selbst entworfen hatte. Sie hat Stunden auf den Knien im Gebet für ihn verbracht und darauf bestanden, dass er eine höchst christliche Erziehung erhielt. Doch wenn sie ihm im Wege stand, wenn sie ihm ein Vergnügen verbot, dann sah Harry sie als Feind - und er vergibt niemandem, der ihm etwas verweigert. Deshalb weiß ich, dass dieser Junge, dieser reizende Junge, eines Tages zu einem Manne werden wird, dessen Selbstsucht für ihn und für seine Mitmenschen gefährlich sein kann. Eines Tages werden wir alle wünschen, dass seine Großmutter ihn besser erzogen hätte.
24. J UNI 1509
Am Tage der Krönung wurde Prinzessin Catalina in bester englischer Tradition vom Tower nach Westminster getragen. In einer Sänfte aus Goldbrokat, getragen von vier weißen Zeltern, schwebte sie hoch über der Menge. Sie trug ein Kleid aus weißer Atlasseide und ein perlenbesetztes Diadem, das Haar floss ihr über die Schultern. Harry wurde zuerst gekrönt. Dann neigte Catalina den Kopf und empfing die heilige Salbung auf Stirn und Brust, streckte ihre Hand aus, um das Zepter und den Reichsstab aus Elfenbein zu empfangen, und wusste nun endlich, dass sie Königin geworden war, wie ihre Mutter: eine gesalbte Königin, ein höheres Wesen als gewöhnliche Sterbliche, den Engeln nah, von Gott ernannt, sein Land zu regieren, und unter seinem besonderen Schutze stehend. Endlich, das wusste sie, hatte sie das Schicksal erfüllt, für das sie geboren worden war: Sie hatte ihr Versprechen wahr gemacht.
Sie nahm Platz auf dem Thronsessel, der nur ein wenig niedriger war als der des Königs, und die Menschen, die zuvor ein Hoch auf ihren hübschen jungen König ausgebracht hatten, jubelten nun auch der spanischen Prinzessin zu, die beständig allen Widerständen getrotzt hatte und nun endlich ihre gekrönte Katharina war.
***
Ich habe so lange auf diesen Tag gewartet, dass er mir nun wie ein Traum vorkommt. Wie in einem Traum erlebe ich die Krönungszeremonie, schreite in der Prozession, nehme Platz auf meinem Thron, spüre das kühle Gewicht des Elfenbeinstabes in der einen Hand, während die andere das schwere Zepter hält, rieche das berauschende Öl auf meiner Stirn und meiner Brust ... all das mutet an wie einer der Träume, in denen ich mich nach Arthur sehne.
Aber dieser Traum ist Wirklichkeit.
Als wir aus der Abtei kommen und ich das Jubeln der Menge vernehme, wende ich mich meinem Ehemann zu. Und ich erschrecke, als wäre ich plötzlich aus einem Traum aufgewacht - denn er ist nicht Arthur. Er ist nicht mein Liebster. Ich hatte erwartet, an Arthurs Seite gekrönt zu werden, mit ihm zusammen den Thron zu besteigen. Doch statt des anziehenden, nachdenklichen Antlitzes meines
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