Die ewige Straße
wenn ich recht informiert bin.«
»Das trifft zu.«
Silas war im Grunde genommen ein geduldiger Mensch. Er hatte sich noch nie im Leben zu Gewalt hinreißen lassen, doch in diesem Augenblick hätte er sich am liebsten auf seinen Gastgeber gestürzt und die Antworten aus ihm herausgeschüttelt. »Wo ist es jetzt?« fragte er Flojian aufgebracht.
Flojian versteifte sich. »Du redest, als wäre es dein Buch.«
»Verdammt, Flojian! Ein Fund wie dieses Buch gehört jedem! Du darfst es nicht für dich allein behalten!«
»Das habe ich auch gar nicht.« Die Antwort hämmerte durch die stille abendliche Luft. »Vater hat es Chaka Milana vermacht. Der jungen Frau, mit der du dich gestern unterhalten hast.«
»Warum zur Hölle sollte Karik so etwas tun?«
»Ich weiß es nicht. Sie war Arins Schwester. Du erinnerst dich? Arin war der Zeichner, der im Verlauf der Expedition ums Leben kam.«
»Ich erinnere mich.«
Flojians Gesichtszüge schienen mit einem Mal umwölkt. »Karik hat ihr das Buch vermacht. Ich weiß nicht warum. Vielleicht aus einem Schuldgefühl heraus. Irgend etwas in der Art.«
»Kannte er sie gut?«
»Oh, das denke ich nicht. Genaugenommen kannte er sie überhaupt nicht.«
»Was hat sie mit dem Buch gemacht?«
»Mit nach Hause genommen, schätze ich.«
»Ich glaube das einfach nicht! Ich hoffe, sie weiß genug, um darauf aufzupassen.« Silas funkelte Flojian an. »Er hätte uns das Buch geben müssen. Das wäre das mindeste gewesen. Wußte diese Frau schon vorher davon?«
»Nein. Im Gegenteil. Sie hätte nicht erstaunter sein können.«
Silas wäre am liebsten aufgesprungen, um sich an die Verfolgung des Buches zu machen, bevor die arme Frau es benutzen konnte, um Feuer zu machen. Doch die Geschichte ergab irgendwie keinen Sinn. »Karik war im Besitz eines Romans von Mark Twain und hat niemandem etwas davon erzählt? Warum nicht?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hat er vielleicht erwartet, Chaka würde ihn mit nach Hause nehmen und in ihre Aussteuerkiste legen?«
»Er hat mir wirklich nicht verraten, was er sich dabei gedacht hat, Silas.«
Morinda nahm das Amulett in die Hand und untersuchte es im Kerzenlicht. Chaka beobachtete das Glitzern des sichelförmigen Amethystes in seiner silbernen Fassung. Es war ein wundervoller Stein. »Ja«, sagte Morinda.
Ein Violinbogen war auf der Rückseite eingraviert. Lykas Emblem, das Zeichen der Mondgöttin. »Es steht Ihnen sehr gut«, sagte Chaka.
Morinda legte sich die Kette um den Hals und öffnete die oberen Knöpfe ihrer Strickjacke, so daß das Amulett zwischen ihren Brüsten lag. »Danke sehr.« Sie löste ihr Haar und lächelte verlockend. »Ja«, sagte sie noch einmal.
Draußen erklang Hufschlag. »Ich freue mich, daß es Ihnen gefällt.«
Sie befanden sich in Chakas Arbeitszimmer im hinteren Teil der Villa. Morinda nahm zwei Goldstücke aus einer schwarzen Börse.
»Mein Mann hat erzählt, daß er Sie gestern bei Endines Einäscherung gesehen hat.«
Chaka nickte. »Es war ein trauriger Nachmittag.«
»Das überrascht mich nicht. Ich möchte wirklich nicht respektlos gegen die Toten sein, aber ein Mann wie dieser Endine …« Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist schon lange her.« Chaka schloß das Kästchen, das sie eigens für das Amulett angefertigt hatte, und reichte es Morinda. »Sie kannten keinen der Expeditionsteilnehmer, nicht wahr?«
»Nein«, gestand Morinda. »Aber darum geht es doch gar nicht.«
Wahrscheinlich nicht.
Morinda lächelte erneut, wünschte der Silberschmiedin einen schönen Abend und öffnete die Tür. Ein älterer Mann stand im Eingang und war im Begriff zu klopfen. »Guten Abend, meine Damen«, sagte er.
Der Mann von der Zeremonie.
»Silas Glote«, sagte er schnell.
Morinda verabschiedete sich und ging, während Chaka den Gelehrten in den Laden bat. »Ich habe Sie nicht vergessen, Master Glote«, sagte sie. »Schön, Sie wiederzusehen.«
Er lächelte und musterte die Gegenstände in den Auslagen. Ein Sortiment Armreifen, Ringe, Fußkettchen, Urnen, Pokale und Anstecknadeln. Er schien sich für ein Paar silberner Klammern zu interessieren, die zum Schließen von Hemden dienten. »Sehr hübsch«, beobachtete er.
Sie bot ihm eine zur Ansicht an. »Diese Klammern würden sich im Imperium ganz bestimmt gut machen«, sagte sie.
Er hielt sie unter eine Lampe. »Philosophisch betrachtet sind wir gegen derartigen Flitter. Wir suchen nach inneren Werten.« Er lächelte. »Außerdem liegen innere Werte eher in
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