Die ewige Straße
gesammelten Werke Shakespeares entdecken würde – ich würde sie verbre n nen.«
»Warum?«
»Weil ich sein Sohn wäre. Falls es noch mehr davon gibt, dann hätte mein Vater es aus gutem Grund versteckt. Und ich würde diesen Grund gewiß nicht in Frage stellen.«
»Flojian mochte seinen Vater nicht.«
»Das spielt keine Rolle. Er würde den Namen seines Vaters schützen. Es ist zu spät, um mit weiteren Entdeckungen herauszurücken. Sehen Sie sich nur an, wie wir auf den Mark Twain reagieren. Das alles riecht entschieden zu sehr nach Verschwörung.«
Silas dachte über Quaits Worte nach. »Ich glaube, du irrst dich. Wenn Flojian seinen Vater so sehr in Schutz nähme, würde er Chaka nicht den Mark Twain übergeben haben.«
»Vielleicht hatte er sich die Dinge da noch nicht zusammengereimt«, sagte Quait. »Vielleicht mußte er das für seinen Vater tun, aus welchem Grund auch immer. Aber jetzt weiß er, daß der Ruf seines Vaters, so schlecht er auch ist, auf dem Spiel steht. Ist Ihnen denn nie die Idee gekommen, er könnte die anderen ermordet haben?«
Silas lachte auf. »Nein, bestimmt nicht. Das steht ganz außer Frage.«
»Und da sind Sie sicher.«
»Absolut sicher. Ich kannte Karik.«
»Vielleicht ist dort draußen irgend etwas vorgefallen? Vielleicht glaubte er, alles für sich allein behalten zu können.«
»Quait, du leidest unter Verfolgungswahn.«
»Möglich. Aber ich garantiere Ihnen, daß Flojians Suche ergebnislos bleiben wird.«
Silas kaute auf seinem letzten Stück Hühnchenfleisch. »Also schön«, sagte er. »Flojian wird ein paar Tage außerhalb der Stadt sein. Wir könnten vielleicht selbst nachsehen.«
Die Kultur, die sich im Tal des Mississippi entwickelt hatte, war patriarchalisch ausgerichtet. Frauen wurden mit höflichem Respekt behandelt und traditionell mit Aufgaben im Haus betraut. Die wichtigsten Berufe – mit Ausnahme der Geistlichkeit – waren ihnen verschlossen. Frauen konnten Eigentum besitzen, aber nicht vererben. Die Villa, die Chaka Milanas jüngerer Bruder ihr vermacht hatte, würde nach Chakas Tod oder im Fall einer Heirat automatisch wieder an ihn zurückfallen.
Die Tatsache, daß Chaka trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre noch immer ungebunden war, verleitete viele ihrer Bekannten zu der Annahme, sie wäre mehr daran interessiert, ihr Haus zu behalten, als eine eigene Familie zu gründen. Chaka fragte sich häufig, ob etwas Wahres an dieser Anschuldigung sein könnte.
Ihr Vater Tarbul war ein Farmer und ein Soldat gewesen (wie viele andere während der unruhigen Zeiten vor der Gründung der Liga auch). Von einem seiner Feldzüge war er mit einer wunderschönen jungen Gefangenen zurückgekehrt. Nach dem Krieg war sie eingebürgert worden, und Chakas Vater hatte sie umworben und für sich gewonnen. Ihr Name war Lia von Masandik, und sie war die Tochter eines Kaufmanns und sie hatte revolutionäre Ansichten. »Temperamentvoll«, pflegte Chakas Vater sie zu nennen.
Lia war entsetzt gewesen vom rücksichtslosen Chaos der ewigen Kriege, deren Ursache ihrer Meinung nach hauptsächlich in männlicher Idiotie lag. Konsequenterweise hatte sie energisch dafür gesorgt, daß alle ihre Kinder eine gute Ausbildung erhalten hatten. Sie war fest entschlossen gewesen, ihnen die bestmöglichen Chancen zu einer unabhängigen Existenz zu verschaffen. Ihr Ehemann war zwar nicht damit einverstanden, doch er hatte seiner energischen Frau um des lieben Friedens willen nicht widersprochen. Ironischerweise hatte der Erstgeborene, Arin, wenig Interesse an der Farm oder den Jagdzügen gezeigt, die das Lebensblut der väterlichen Existenz bedeuteten.
Der Junge war künstlerisch begabt und liebte Debatten und Trinkgelage. Nicht gerade die geeigneten Talente, um den Vater stolz zu machen.
Am Ende war es Chaka gewesen, die ihren Vater bei der Jagd begleitet oder sich in seiner Abwesenheit um den Bauernhof gekümmert hatte. Eines denkwürdigen Tages hatte sie sogar die Verteidigung des Hofes gegen einen Angriff plündernder Makar geleitet. »Deine Mutter wäre stolz auf dich gewesen«, hatte Chakas Vater danach zu ihr gesagt.
Es war das allergrößte Kompliment, das er seiner Tochter hatte machen können.
Lia war an einer infektiösen Krankheit gestorben, als Chaka fast erwachsen gewesen war. Sieben Jahre später war ihr Vater bei einer Schießerei mit Wilderern gestorben. Der Bauernhof war an Sauk übergegangen, und Chaka war in die Villa gezogen und hatte sich eine Existenz als
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