Die ewige Straße
Seine Stimme klang herzlich und mitreißend. Der Ganji war ein charismatischer Führer.
Sie fragte nach seinem wirklichen Namen. »Die Stellung gilt auf Lebenszeit«, erklärte Shannon. »Wenn ein Ganji ernannt wird, gibt er seinen Namen auf. Oder sie. Manchmal wird auch eine Frau zum Ganji. Die Absicht dahinter ist, daß es nur einen Ganji geben kann, für immer und ewig. Wer die Berufung annimmt, verliert sein Selbst und verschmilzt mit der Linie aller Ganjis.«
Der Ganji hieß die Versammlung willkommen und forderte sie auf, mit ihm zusammen die Besucher zu begrüßen. Er bat die Gäste einen nach dem anderen aufzustehen, während er über ihre Bedeutung sprach. Silas war ein Gelehrter und ein Mann großer Weisheit. Shannon durchstreifte die weiten Wälder und sorgte für die Sicherheit derer, die ihm anvertraut waren. Avila war eine Heilerin mit beträchtlichen Fähigkeiten. Quait war ein Krieger, Flojian war ein Bootsbauer, und Chaka zähmte wilde Pferde.
»Wo hat er denn das her?« flüsterte sie Shannon erstaunt zu. Er zuckte die Schultern und bemühte sich, unschuldig dreinzublicken.
Die Menge begrüßte jeden einzelnen unter lautem Rufen und Klappern mit hölzernen Tellern und Tischklopfen. Sie sangen jeden Namen, sobald der Ganji mit seiner Beschreibung fertig war. Manchmal sogar richtig. Aus Quait wurde Quiip Esterhonk. Doch das störte niemanden.
»Unsere Gäste ziehen nach Norden weiter«, fuhr der Ganji fort. »In die dunklen Länder. Wir wollen ihnen viel Glück wünschen. Und falls sie in diesem Leben wieder einmal hier bei uns vorbeikommen sollten, dann wissen sie, daß sie bei den Oriki stets Zuflucht finden.« Weiterer Applaus, während Chaka überlegte, was genau der Ganji damit zum Ausdruck hatte bringen wollen.
»Er ist wirklich gut«, flüsterte Flojian ihr zu. »Ein paar unserer Politiker zu Hause könnten einiges von ihm lernen.«
Shannon gab dem Ganji zu verstehen, daß er noch nie an einem Tisch gesessen hätte, der im Mittelpunkt einer Feier stand. »Nicht einmal bei meiner Hochzeit«, sagte er, und der Ganji brüllte vor Lachen und hämmerte seinen Becher auf die hölzerne Tischplatte.
Silas erhob sich, um für seine Kameraden das Wort zu ergreifen. Er sagte, es sei ein gutes Gefühl, in einem Teil der Welt Freunde zu entdecken, die er noch nie zuvor besucht hätte. Und er hoffe, daß die Oriki ihn besuchen würden, wenn jemals einige von ihnen nach Illyrien kämen. (Er hatte einige Bedenken wegen dieser Zusicherung gehabt, doch Shannon hatte ihn beruhigt, daß er sich keine Sorgen zu machen brauche, weil jeder wüßte, daß es lediglich ein zeremonielles Ritual sei.)
Als Silas geendet hatte, ertönten weitere Hochrufe. Dann wurde das Essen aufgetischt. Große Berge von dampfendem Fleisch wurden herangeschafft, zusammen mit Karotten und Kartoffeln und Jamswurzeln. Zu trinken gab es reichlich Wein und Bier.
»Wir könnten mit diesen Leuten Handel treiben«, sagte Flojian, während er eine Karaffe untersuchte. »Einige dieser Stücke sind recht schön. Sie würden zu Hause einen guten Preis erzielen.« Er zeigte Avila das Gefäß. »Meinst du nicht auch?«
»Wahrscheinlich sind diese Sachen auch hier nicht billig«, erwiderte sie. »Sei dir nicht so sicher, daß die Oriki den Wert ihrer Arbeit nicht zu schätzen wissen.«
Der Ganji sprach ein Tischgebet und dankte Shanta, und alle schlossen sich an.
Auf einem Podium erschienen Musiker mit Saiteninstrumenten und Trommeln und begannen zu spielen. Die Musik war sanft und langsam, wie ein Windhauch im Mondschein oder ein breiter Fluß im Spätsommer. Während des Essens näherten sich von überall in der Halle Menschen, um sich vorzustellen, die Reisenden zu umarmen und ihnen viel Glück zu wünschen.
Das Resultat war, daß die sechs Gefährten wahrscheinlich die letzten in der Halle waren, die noch beim Essen saßen. Als sie fertig waren, betrat ein Alleinunterhalter die Bühne und animierte die Menge zu einer Reihe von Lobliedern auf die Kunst des Trinkens und der Unzucht.
Flojian war die Sache offensichtlich peinlich. »Zu Hause hätte sicher längst irgend jemand die Polizei gerufen«, flüsterte er.
»Halt dich zurück«, empfahl ihm Shannon. »Wir sind schließlich nicht in Illyrien. Das hier ist ihr Land, und wir wollen niemanden beleidigen.«
Ein Komödiant trat auf. Er machte eine Menge Witze, von denen Chaka die meisten nicht verstand. Auch die gewaltigen Ohren des Ganji wurden entsprechend gewürdigt, doch der schien
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