Die Ewigen
Gymnasium besucht und studiert hat. Ich halte die Mutter für eine gehemmte Spießerin, die wahrscheinlich eifersüchtig auf ihre Tochter ist, der Vater ist ein sich selbst überschätzender Angeber, der gerne mehr geworden wäre, dafür aber zu faul oder schlicht zu dumm war. Shara dürfte diese spießbürgerliche Fassade recht schnell durchschaut und sich abgekapselt haben. Aber wie gesagt - das ist nur meine Meinung."
Andreas dankte Josie mit einem Nicken, Ciaran sah nicht ganz beruhigt aus und Shane fuhr fort.
"Ich habe nur wenige Fotos aus ihrer Kindheit - vom Bruder könnte ich euch jeden ausgefallenen Milchzahn zeigen, wenn Interesse besteht."
Das bestand nicht. Wir wandten uns wieder zum Monitor und sahen wie versprochen Shara an ihrem ersten Schultag, dann bei einer Theateraufführung in einem ziemlich lächerlichen Vogelkostüm und schließlich bei einem Klassenfoto in der letzten Reihe zwischen den Jungen.
"Drei Fotos für vier Jahre ihres Lebens - mehr war auf die Schnelle nicht zu holen."
Josie sprach weiter, während wir alle auf das Klassenfoto starrten. "Ich könnte mir vorstellen, dass sie in der Schule ein bisschen gehänselt wurde. Sie ist mit Abstand das größte Mädchen, von den Jungs scheint nur der Dicke da rechts noch ein bisschen größer zu sein als sie. Aber gefunden habe ich nichts, die Zeugnisse enthalten keine Hinweise auf Integrationsprobleme, also wieder nur ein vages 'könnte sein'. Sie war übrigens die Drittbeste in ihrer Stufe - über die Schulzeit und die Noten wissen wir ganz gut Bescheid, weil sie alle ihre Zeugnisse in einem Ordner gesammelt hat. In ihrem Letzten aus der Grundschule wird ausdrücklich auf die Eignung für das Gymnasium hingewiesen - mit handschriftlicher, sehr eindringlicher Ergänzung der Lehrerin, als habe sie mit Zweifeln oder dem Protest der Eltern gerechnet."
Shane ließ den nächsten Stapel Bilder durchlaufen, wir gingen über zu Pubertät und Jugend. Shara sah nun dem Blondie ähnlicher, das ich kennen gelernt hatte: Als Kind war sie nicht besonders hübsch gewesen - viel zu groß und viel zu dünn, die Haare heller und die Augen runder, alles passte nicht recht zusammen. Doch mit dreizehn, vierzehn und fünfzehn sortierte sich ihr Körper einmal durch, ich schaute auf zunehmend hübscher werdende Züge und einen Körper, der jetzt wohl nicht mehr böse Bemerkungen, sondern eher bewundernde Blicke von Mitschülern erntete: Solche Beine hatte eine unter Tausend, optimistisch gerechnet.
"Nach der Grundschule wie schon gesagt der Wechsel auf das Gymnasium, ein Humanistisches in der Stadt. Eine gute Schülerin mit einem kleinen Durchhänger in der neunten Klasse, da bekam sie einen Blauen Brief wegen einer Fünf in Mathe. Oder war es Biologie? Nein, Mathe - der Brief lag zwischen den Zeugnissen, Moment."
"Trotzphase?", fragte Ciaran, Josie zuckte mit den Schultern, während Shane in seinen Zetteln wühlte. "Würde vom Alter her passen, in der achten oder neunten Klasse erwischt die Pubertät die meisten am wildesten", sagte sie. "Allerdings geben die Fotos da nichts her, was als 'ihr könnt mich mal' durchginge - keine Punkfrisur, kein Ring in der Nase, kein Tattoo. Das Fach selbst dürfte es aber auch nicht gewesen sein: Sie hatte Mathe als Prüfungsfach im Abitur und hat eine Eins Minus geschafft."
Shane gab die Suche nach dem Blauen Brief auf. "Wir haben nach Sportvereinen und solchen Sachen geschaut, aber nicht wirklich was gefunden, in ihrer Jugend wurde dergleichen noch nicht in elektronischen Datenbanken erfasst. Sie hat eine alte Medaille von einer Schwimmveranstaltung in der Schublade, aber die kann auch aus der Schule gewesen sein. Dritter Platz im Brustschwimmen, Distanz hab ich nicht notiert."
Es gibt Schlimmeres, Shane, dachte ich - aber immerhin wissen wir jetzt, dass sie uns nicht gleich absäuft, wenn sie in den Tiber fällt.
"Ach so - sie ist evangelisch getauft worden und auch zur Konfirmation gegangen."
Er rief ein einzelnes Bild auf, das Shara in einem sehr steifen Hosenanzug und mit einer Kerze in der Hand vor einem hässlichen, modernen Kirchenportal zeigte. Ihr Gesichtsausdruck brachte mich beinahe zum Lachen: Sie sah aus, als würde sie dem Fotografen am liebsten die Kerze in die Linse stopfen - nämlich ziemlich gereizt bis schwer genervt.
"Sie ist allerdings aus der Kirche ausgetreten, als sie Achtzehn war. Die Familie tritt in der Gemeinde nicht in Erscheinung - wahrscheinlich musste sie zur Konfirmation, weil alle
Weitere Kostenlose Bücher