Die Ewigen
ich hörte ein paar Engelchen singen und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss - Lolli Nummer Zwei, zehnmal süßer als der Erste. Ich senkte den Kopf, damit Jack nichts sah, drückte der Prinzessin aber dankbar den Arm.
"Und wie ist das bei dir?", fragte Shara über die Schulter, Jack schloss zu uns auf.
"Der Orden hat mir schlicht das Leben gerettet, und dafür bin ich unendlich dankbar. Ich habe mir noch nie gewünscht, es wäre anders gekommen und ganz bestimmt auch nicht, zu sterben ... Meistens sind wir alle einfach zu beschäftigt oder zu abgelenkt, um großartig über das Leben und den Tod nachzudenken. Das Problem mit der Zeit kommt erst später, glaube ich, wenn man wirklich Jahrhunderte alt und völlig ... gesättigt und gelangweilt ist. Für die meisten von uns ist der Tod einfach etwas, über das wir Gott sei Dank nicht nachgrübeln müssen, weil es so fern ist. Schau dir Andreas und Ciaran an: Sie sind über achthundert Jahre alt, und alles andere als lebensmüde."
"Ist denn schon einmal jemand von euch gestorben?"
Jack antwortete ihr, wenn auch erst nach einigem Zögern.
"Natürlich. Wir sind nicht wirklich unsterblich, für Unfälle und Unglücke sind wir ebenso anfällig wie jeder Mensch. Ich weiß von drei Toten: Penelope - sie ist in den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts beim Absturz eines Zeppelins gestorben. Lukas - er ist im 17. Jahrhundert vom Pferd gestürzt und hat sich das Genick gebrochen. Und Hendrick - er ist bei einem großen Brand ums Leben gekommen, das war im 16. Jahrhundert."
Wir überquerten jetzt die belebte Straße vor dem Kolosseum: Von mächtigen Scheinwerfern angestrahlt, erhoben sich die Mauern strahlend Gelb vor der tiefblauen Nacht, kleine Gruppen von Touristen bummelten darum herum und fotografierten sich vor den imposanten Rundbögen. Ich hatte gehofft, dass der monumentale Anblick unsere innerliche Selbstzerfleischung stoppen würde, aber Shara blieb hartnäckig.
"Und ... es hat noch nie jemand abgelehnt, Mitglied bei euch zu werden? Unsterblich zu werden? Das hat Andreas zumindest gesagt."
Ich nickte, Jack wiegte den Kopf.
"Das ist nicht ganz richtig", sagte er vage.
"Ach ja? Wer denn?", fragte ich ihn, denn da war mein Wissensstand ein ganz anderer.
"Peter."
Ich lachte, lachte Magnus aus. "Der Peter, der so sechzehnhundertnochwas geboren wurde und der mich heute Nachmittag gefragt hat, ob es mich stört, wenn er das Zimmer neben meinem als Atelier benutzt? Der Peter, der also nicht tot ist?"
Jack lächelte. "Genau der." Er wandte sich an Shara. "Peter kam auch sehr ... überraschend zum Orden, aber er war damals Priester und fand, dass wir mit dem Dolch Gott ins Handwerk pfuschen. Das Leben des Menschen ist nur die Prüfung auf dem Weg zu Gott, sagte er - wenn er unsterblich werde, würde er diesen ihm vorbestimmten Weg verlassen und ganz sicher nicht Eingang in das Himmelreich finden, so hat er es zumindest ausgedrückt."
"Was hat ihn umgestimmt?", fragte Shara.
Das interessierte auch mich brennend, hörte ich diese Story doch zum allerersten Mal. Wo Jack sie herhatte, brauchte ich gar nicht zu fragen: aus der Chronik natürlich, höchst illegal. Was hatte er eben im Hotel gesagt - er habe nur seinen Eintrag und den von Drake lesen wollen? Blödsinn!
"Ciaran hat tagelang mit ihm diskutiert - Peter wusste wohl sehr viel und sie wollten ihn nicht gehen lassen. Den genauen Wortlaut der Gespräche habe ich nicht mehr im Kopf, aber es lief darauf hinaus, dass Ciaran sagte, Peters Gott wisse um Schwert und Dolch, habe beidem Obdach in einer Kirche gewährt - also existiere beides mit dem Wissen und der Billigung Gottes. Und wenn Peter das Leben nur als Prüfung ansähe, wenn das Leben nach dem Tode das Bessere sei und das Jenseits die Belohnung für das Diesseits, dann würde sein Gott sicherlich diese freiwillige Verlängerung der Prüfung als Beweis für die besondere Stärke von Peters Glaubens ansehen."
Shara nickte, ein bisschen anerkennend - als wüsste sie dieses Drehen und Wenden zu schätzen. Wenn sie derlei mochte, dann wäre sie bei uns aber so was von gut aufgehoben: Ciaran diskutierte morgens wahrscheinlich schon mit seinem Wecker über Raum und Zeit, nur um richtig wach zu werden.
Wir umrundeten schweigend das Kolosseum, bis Jack vor einer unscheinbaren, kleinen Gittertür stehen blieb und auf eine versteckte Klingel drückte. Ein Wachmann kam angeschlendert, leuchtete uns der Reihe nach ins Gesicht, nickte, als er Jack erkannte,
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